Sieg der Ukraine beim ESC Getragen von 200 Millionen Zuschauern
Ein musikalischer Sieg inmitten des Krieges. Kalush Orchestra brachte der Ukraine einen Triumph beim Eurovision Song Contest. Die Ukraine kündigte an, den kommenden ESC im eigenen Land ausrichten zu wollen.
Eigentlich ist der Song "Stefania" alles andere als politisch. Er ist ein Liebeslied an eine Mutter. "Ich werde immer zu dir kommen, auch wenn alle Straßen zerstört sind", singt Oleh Psiuk, der Gründer und Sänger des Kalush Orchestra. Doch wenn ein Satz wie dieser von einem ukrainischen Sänger kommt, dann ist die Kriegs-Assoziation unvermeidlich.
Beim Eurovision Song Contest brachte die Band Kalush Orchestra der Ukraine einen Triumph inmitten eines verlustreichen Krieges. Wie sehr dieser Konflikt Europa und die Welt mitnimmt, war an diesem Abend eindrücklich zu erleben. Europas Fernsehpublikum wollte einen Sieg der Ukraine - und sei es ein musikalischer.
Überragende Unterstützung der Zuschauer
Das als Top-Favorit ins ESC-Finale eingezogene Kalush Orchestra konnte den ESC dank der überragenden Unterstützung des Publikums vor Großbritannien gewinnen. In fast jedem Land gaben die weltweit fast 200 Millionen Zuschauer den Ukrainern 12 Punkte - der Durchschnitt lag bei 11,3. Auch das deutsche Publikum vergab die Höchstzahl an Kalush Orchestra. Am Ende siegten sie haushoch mit 631 Punkten. Damit war das diesjährige ESC-Finale so politisch wie vielleicht noch nie.
Verschiedene Künstler nutzten ihren Auftritt für Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine. Eigentlich ist das beim ESC nicht erlaubt. "Texte, Ansprachen und Gesten politischer Natur" sind auf der Bühne laut Regelwerk explizit verboten.
Auch Oleh Psiuk verstieß gegen das Verbot von politischen Statements. Nach dem Auftritt sagte er im ausverkauften Turiner Pala Olimpico: "Bitte helfen Sie der Ukraine, Mariupol, helfen Sie Asowstal jetzt." Asowstal ist das von Russland belagerte Stahlwerk in Mariupol, in dem hunderte ukrainische Soldaten eingeschlossen und unter ständigem Beschuss sind.
Ukrainische Soldatinnen und Soldaten feiern in Kiew den Sieg des Kalush Orchestra.
Politische Statements sind eigentlich verboten
Bei den Verstößen ließ die Europäische Rundfunkunion EBU in diesem Jahr Nachsicht walten - statt Sanktionen gab es Verständnis. Auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa schrieb die EBU: "Wir (...) betrachten die Äußerungen des Kalush Orchestra und anderer Künstler zur Unterstützung des ukrainischen Volks eher als humanitäre Geste und weniger als politisch."
Damit steht eine Frage im Raum: Wo wird der ESC im kommenden Jahr ausgetragen? Derzeit könnte die Ukraine keinen solchen Wettbewerb ausrichten, weil in dem Land Kriegsrecht herrscht. Damit sind keine Großveranstaltungen erlaubt.
"Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich entschlossen, trotzdem den Pflichten als Gastgeberland nachzukommen. "Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision!", schrieb Selenskyj bei Telegram. Er nahm auch Bezug auf den Aufruf der Band, Mariupol zu retten. "Wir tun alles dafür, damit eines Tages das ukrainische Mariupol die Teilnehmer und Gäste der Eurovision empfängt. Ein freies, friedliches, wieder aufgebautes!", schrieb Selenskyi. Sein Land hatte den ESC bereits in den Jahren 2004 und 2016 gewonnen.
Auch der ukrainische Kulturminister Olexandr Tkatschenko schrieb bei Telegram, die Regierung fange an, darüber nachzudenken, wo man den Eurovision Song Contest veranstalten könnte.
Wie es mit Oleh Psiuk nach seiner Rückkehr in die Ukraine weitergeht, wusste der Musiker nach eigenen Worten noch nicht. Die Band hatte nur mit einer Sondergenehmigung die Ukraine verlassen dürfen. Morgen feiert er seinen 28. Geburtstag - allerdings ohne seine Mutter Stefania.
Danach wolle er aber mit seiner Freundin, Familie und seiner Mutter Zeit verbringen. "Wir haben eine zeitweise Genehmigung, hier zu sein, und in zwei Tagen werden wir in der Ukraine sein. Es ist schwer zu sagen, was wir tun werden. Wie jeder Ukrainer sind wir bereit zu kämpfen und bis zum Ende zu gehen." Denkwürdige Worte an einem denkwürdigen Abend.