EU-Flüchtlingspolitik Umstrittene "Migrationspartnerschaften"
Im Frühjahr stand die Türkei im Fokus der Flüchtlingspolitik, jetzt Afrika: Durch "Migrationspartnerschaften" will die EU die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika verringern. Beim EU-Gipfel in Brüssel wird heute über das Konzept beraten.
Aliu ist 20 Jahre alt. Er stammt aus dem kleinen westafrikanischen Land Gambia. Es gehört zu den 20 ärmsten Staaten der Welt und wird seit Jahrzehnten von einem Alleinherrscher mit harter Hand regiert. Er sei wegen der Schwierigkeiten in dem Land geflüchtet, berichtet Aliu.
Der junge Westafrikaner hat eine Flucht hinter sich. Tausende Kilometer durch den Senegal, durch Mali, Algerien und Libyen. Von dort aus gelangte er mithilfe von Schleppern in einem Boot über das Mittelmeer nach Sizilien. Er floh vor Perspektivlosigkeit, vor Armut und Hunger. "Es ist zu hart, nur einmal am Tag zu essen, nur mittags", sagt Aliu, der am liebsten nach Schweden möchte. "Ich mache jeden noch so harten Job, um Geld zu verdienen, um meine Familie zuhause zu unterstützen, damit sie überleben kann."
Menschen von der Flucht abhalten
Um Menschen wie Aliu geht es bei den sogenannten Migrationspartnerschaften. Die EU gibt afrikanischen Regierungen Geld und Unterstützung, damit sie ihre Staatsbürger von der Flucht nach Europa abhalten, etwa durch mehr Grenzschutz, und Migranten ohne Bleiberecht in der EU wieder zurückzunehmen. Partner sind zunächst einmal fünf Länder: Nigeria, Niger, Mali, Senegal und Äthiopien. Das sind Staaten, aus denen Migranten kommen, oder durch die sie Richtung Europa reisen.
Deutschland, das 2015 sehr viele Flüchtlinge aufgenommen hatte, dringt auf solche Abkommen nach dem Vorbild der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei. Durch die Migrationspartnerschaften mit Afrika sei im Durchreiseland Niger die Zahl der Migranten, die die Wüste nach Libyen durchqueren, von 70.000 im Mai auf 1500 im November gesunken, sagt die EU-Kommission. Gut 100 Menschenschlepper seien verhaftet worden.
Anfang 2017 will die EU Verbindungsbeamte in die fünf afrikanischen Länder schicken. Darüber hinaus gibt es deutlich mehr Geld: Die EU hat die Summe um knapp 500 Millionen erhöht - auf 2,5 Milliarden Euro - mit der afrikanische Regierungen ihre Staatsbürger, die aus Europa abgeschoben wurden, wieder eingliedern sollen.
Geld soll nicht für Mauern gedacht sein
Doch es gehe auch um die Entwicklung in den afrikanischen Staaten selbst, betont Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Die Migrationspartnerschaften dienen einerseits der Unterstützung der Länder, andererseits natürlich auch der Unterstützung von UN-Organisationen."
Mit dem Geld sollen keine Mauern gebaut werden, ist aus deutschen Regierungskreisen zu hören. Es gehe vielmehr darum, illegale Migration zu verhindern. Durch Grenzschutz, aber auch durch Ausbildungsplätze. Entwicklungshilfe und Migrationspartnerschaft überlappen sich.
Ein weiteres Ziel sind schnellere Abschiebungen. Die EU arbeitet bereits an einem Rücknahmeabkommen mit der nigerianischen Regierung. Nigeria soll seine Staatsbürger, die aus Europa abgeschoben werden, wieder aufnehmen und die notwendigen Papiere schneller ausstellen als bislang.
"Keine saubere Sache"
Doch für den CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber sind die Migrationspartnerschaften der falsche Ansatz. Denn es werde mit Geld gelockt, "dass Staaten in Afrika bereit sind, ihre Grenzen besser zu kontrollieren".
Von einer Partnerschaft kann gar keine Rede sein, kritisiert zudem die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller. Um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten, lasse sich die EU mit zum Teil zwielichtigen afrikanischen Regierungen ein. Es sei keine saubere Sache, meint Keller, "wenn man Geld gibt, und technische Unterstützung, aber auch politische Unterstützung für diverse Regierungen, die teilweise selber die Fluchtursachen sind".
Dürre, Hunger, Terror
Regierungen, die selbst Fluchtursachen sind? Im Wüstenstaat Niger zum Beispiel, durch den viele Migranten aus Westafrika Richtung Nordafrika reisen, ist die politische Lage unter Präsident Mahamadou Issoufou recht stabil. Doch die Bevölkerungszahl explodiert, weil es keine Geburtenkontrolle gibt. Menschen fliehen vor Dürre und Hungersnöten. In Nigeria etwa schafft es der ehemalige Militärdiktator und heutige Präsident Muhammadu Buhari nicht, die islamistische Terrorgruppe Bokom Haram in den Griff zu bekommen, die sich immer weiter im Land ausbreitet, mordet und vergewaltigt.
Vielleicht hätten sich junge Männer wie Aliu nicht auf den gefährlichen Weg nach Europa gemacht, wenn die Lage bei ihnen zuhause besser wäre. Doch die Migrationspartnerschaften, sie sind keine schnelle Hilfe, sondern ein Langzeitprojekt.