Türkei-EU Erdogan schafft Fakten - was tut die EU?
Je näher der türkische Präsident Erdogan seinem Ziel kommt, seine Macht weiter auszubauen, desto mehr entfernt er sich von der EU. Die Haltung des EU-Parlaments ist eindeutig: ein Stopp der Beitrittsgespräche. Doch die Einzelstaaten zögern.
Recep Tayyip Erdogan ist auf dem besten Weg, den Präsidenten der Türkei - und damit sich selbst - mit einer gewaltigen Machtfülle auszustatten. Doch eins ist dabei klar: Je näher er diesem politischen und persönlichen Ziel kommt, umso weiter entfernt er sich damit von der Europäischen Union. So sieht das auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister, der den Europäern im Interview mit dem ARD-Europastudio Brüssel darüber hinaus empfiehlt, mit der Türkei Klartext zu reden:
Meiner Meinung nach müssen wir deutlich machen, dass die Entfernung von unseren demokratischen Werten durch uns nicht akzeptiert werden kann.
Schon lange bevor das türkische Parlament sich dafür aussprach, die eigene Macht zu beschneiden und die des Präsidenten zu stärken, war das EU-Parlament aktiv geworden: Mit großer Mehrheit - und mit der Stimme McAllisters - empfahl es, die Beitrittsgespräche mit Ankara vorerst auf Eis zu legen. Gefolgt sind die EU-Staaten dieser Empfehlung nicht. Offiziell läuft der Prozess weiter. Wenn auch beschlossen wurde, angesichts der Lage der Menschenrechte in der Türkei vorerst keine neuen Beitritts-Kapitel zu öffnen.
"Höchste Standards einhalten"
Die alles entscheidende Frage lautet nun: Wie verhält sich die EU, sollte Erdogan wirklich seinen Willen bekommen und, wie viele kritisieren, die "Ein-Mann-Herrschaft" im Land zementiert? "Gemäß ihren internationalen Verpflichtungen und ihrem Status als Beitrittskandidatin, ist es notwendig, dass die Türkei höchste Standards den Rechtsstaat und die Grundrechte betreffend einhält" - so heißt es in einer schriftlichen Erklärung auf ARD-Nachfrage aus dem Büro der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Was bedeutet: Für den Moment belässt es die EU bei Warnungen, die Demokratie in der Türkei nicht zu gefährden.
Einführung der Todesstrafe würde Beitrittsgespräche beenden
Doch sollte das Präsidialsystem wirklich kommen, müssten die EU-Einzelstaaten Farbe bekennen: Noch ist nur klar, dass die Einführung der Todesstrafe für sie eine "Rote Linie" darstellt. Dann wären die Beitrittsgespräche beendet. Wie man mit Erdogans Machtzuwachs umzugehen gedenkt, ist aber noch offen: "Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei sind beunruhigend, und wir müssen das auch offen ansprechen", sagt McAllister, ohne also bislang die Einführung des Präsidialsystems als weitere "rote Linie" zu definieren.
Der SPD-Abgeordnete Arne Lietz sieht die "Gefahr einer Diktatur" in der Türkei heraufziehen und hält es nach eigenem Bekunden für unwahrscheinlich, dass die Beitrittsgespräche dann weitergehen könnten. Nun fällt es Parlamentariern stets etwas leichter, ein härteres Vorgehen gegen Ankara zu fordern als den EU-Einzelstaaten: Die würden naturgemäß gerne die Zusammenarbeit mit dem NATO-Mitglied Türkei bei Flüchtlingskrise und Terrorbekämpfung fortsetzen.
Warten auf Empfehlung des Europarats
Einen entscheidenden Hinweis darauf, wie es weitergehen könnte, dürfte Mitte März die sogenannte Venedig-Kommission des Europarats liefern: Dieses von den EU-Institutionen unabhängige und der Wahrung der Menschenrechte verpflichtete Gremium will dann ein Gutachten zur von Erdogan geplanten Verfassungsänderung vorlegen. Sollte das für das Europaratsmitglied Türkei verheerend ausfallen, würde der Druck auf die EU-Staaten, zu handeln, gewaltig wachsen.