EU-Fortschrittsbericht zur Türkei Weit weg von Europa
Schwerwiegende Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz: Die EU stellt der Türkei in ihrem neuen Bericht zur Beitrittsreife laut "FAS" das bisher schlechteste Zeugnis aus. Das gut 100-seitige Papier soll am Mittwoch veröffentlicht werden.
Das Vorgehen der türkischen Regierung und Präsident Erdogan hat auch Folgen für die EU-Beitrittsperspektive des Landes. Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" bescheinigen EU-Experten der türkischen Regierung schwerwiegende Rückschritte bei der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. "Im Bereich der Meinungsfreiheit hat es im letzten Jahr einen schwerwiegenden Rückfall gegeben", zitiert die Zeitung aus einem Entwurf für den aktuellen EU-Bericht zur Beitrittsreife der Türkei.
Die Kommission kritisiert demnach, dass Rechtsbestimmungen über die nationale Sicherheit und zum Kampf gegen Terrorismus "selektiv und willkürlich" angewendet würden. Sie äußere sich zudem ernsthaft besorgt" über die vielen verhafteten Journalisten und die Schließung von Medien seit dem Putschversuch im Juli. Die Vagheit der Kriterien und der Anhaltspunkte dafür gebe Anlass zu "sehr ernsten Fragen". Es entstehe der Eindruck, dass Schuld durch bloße "Assoziation" begründet werde.
Auflistung von Mängeln, ohne politische Bewertung
Auch mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz sei von einem "Rückfall" die Rede, berichtete die "FAS". Ein Fünftel der Richter und Staatsanwälte sei nach dem versuchten Putsch entlassen worden. Die EU-Kommission kritisiere außerdem, dass Beschuldigte während des Ausnahmezustands bis zu dreißig Tage in Haft sein können, bevor sie einem Richter vorgeführt werden. In dieser Zeit sollen Gefangene immer wieder gefoltert worden sein.
Der Bericht wurde - wie üblich - von Beamten verfasst. Er listet Mängel auf, empfiehlt aber nicht, wie künftig mit der Türkei verfahren werden soll. Das Land werde allgemein als "Schlüsselpartner" eingestuft, schreibt die Zeitung. Die politische Bewertung ist Sache der Kommissare, die am Mittwoch darüber beraten, sowie der EU-Mitgliedstaaten.
Richter suspendiert, Journalisten eingesperrt
In der Türkei herrscht seit dem Putschversuch der Ausnahmezustand. Mehr als 110.000 Beamte, Soldaten, Polizisten und Richter wurden seither suspendiert oder eingesperrt, ebenso zahlreiche Journalisten. Zur Last gelegt werden ihnen Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK oder zur Gülen-Bewegung, die für den Umsturzversuch verantwortlich gemacht wird. Zuletzt lösten die Festnahme von Mitarbeitern der Oppositionszeitung "Cumhuriyet" sowie von den beiden Vorsitzenden und weiteren Politikern der prokurdischen Oppositionspartei HDP im Westen Entsetzen aus.
Treffen der EU-Botschafter in Ankara
Die Türkei und die EU hatten 2005 offiziell Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in dem Land werden aber zunehmend Rufe laut, diese Verhandlungen abzubrechen. Der türkische Europaminister sieht nun offenbar Erklärungsbedarf. Ömer Celik lud die Vertreter aller EU-Staaten für Montag zu einem außerplanmäßigen Treffen nach Ankara ein. Er werde dabei über die "jüngsten Entwicklungen im Land" berichten.