EU-Gipfel Ein Treffen des Stillstands
Die Teilnehmer des EU-Gipfels beschwören Fortschritte, dabei herrscht fast überall Stillstand: Bei Migration, Grenzschutz, Brexit. Nur bei einem einzigen Thema zeigt sich die EU geschlossen.
Nein, das war kein Gipfel der Entscheidungen. Stattdessen Stillstand fast überall. Beispiel Migration: Seit Jahren streitet die EU darüber, wie Flüchtlinge fair verteilt werden können - ein ungelöstes Thema, hieß es vor dem Treffen.
Und auch danach ist keine Lösung in Sicht. Im Gegenteil: Vielleicht ist das Thema sogar vom Tisch, weil Ungarn, Polen und Tschechien Verteilquoten strikt ablehnen. Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz will stattdessen lieber eine "verpflichtende Solidarität":
Das bedeutet eine Zusammenarbeit in dem Sinne, dass jeder einen Betrag leistet, aber dass dieser Beitrag sehr unterschiedlich aussehen kann.
Verpflichtende Quoten seien ein Weg, der niemals von allen Staaten unterstützt würde und deshalb auch nicht die Lösung sein könne, sagte Kurz.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach sich klar gegen eine Verteilung von Flüchtlingen nach Quote aus.
Niemand will Anlandeplattformen bei sich haben
Sollen sich EU-Länder bei der Verteilung von Flüchtlingen also freikaufen können? Nicht überall kommt das gut an. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zum Beispiel hält nichts davon:
Wenn alle sagen: Die verpflichtende Solidarität, die ich mir heraussuche, ist die Solidarität, mehr Geld für Afrika zu geben, dann haben wir bestimmte Probleme nicht gelöst und die Ankunftsstaaten sind wieder alleingelassen.
Auch der Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex bleibt umstritten. Ungarn oder Italien wollen keine EU-Beamten ins Land lassen, weil sie um ihre Hoheitsrechte fürchten.
Und was ist mit den sogenannten Anlandeplattformen, den Auffanglagern in Nordafrika, in die Bootsflüchtlinge zurückgebracht werden sollen? Der Gipfelbeschluss dazu stammt aus dem Juni, heute ist davon schon keine Rede mehr.
"Jeder findet es eine tolle Idee, aber keiner will sie bei sich haben. Das macht es schon kompliziert", sagt Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel dazu.
Gipfel-Erklärung verurteilt Cyberattacken
Immerhin: Beim Kampf gegen Cyberattacken zeigt sich die EU geschlossen. Ein neues Abwehrzentrum soll für mehr Datenaustausch und damit für mehr Sicherheit sorgen. Der Angriff auf die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag wird in der Gipfelerklärung verurteilt, ohne Russland ausdrücklich zu nennen. Moskau darf sich aber trotzdem angesprochen fühlen. Um die Europawahl vor Manipulationen zu schützen, wollen die EU-Staaten Parteien bestrafen, die gezielt falsche Informationen verbreiten.
Auf der Dauerbaustelle Brexit dagegen geht nichts voran. Auch wenn alle die Fortschritte loben, die es zuletzt gegeben haben soll. Der große Streitpunkt aber ist nach wie vor ungelöst. Nämlich die Frage, wie eine "harte Grenze" mit Schlagbäumen und Kontrollposten zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindert werden kann.
Ist eine verlängerte Übergangszeit, wie sie die EU ins Spiel gebracht hat, der rettende Ausweg? Großbritannien bliebe länger im Binnenmarkt und in der Zollunion, um das zukünftige Verhältnis mit der Rest-EU in Ruhe aushandeln zu können - eine Lösung der Irland-Frage inklusive?
Stillstand auf der Dauerbaustelle Brexit
Premierministerin Theresa May sagte dazu erst nichts, dann angeblich nein, zum Schluss vielleicht. Und schob ein "aber" hinterher: "Der Punkt dabei ist, dass dieser Zeitpuffer gar nicht zur Anwendung kommen wird."
Aber selbst das ist den konservativen Hardlinern in London schon zu viel. Sie wollen schnell raus aus der EU und sich bloß nicht länger an Brüssel ketten als unbedingt nötig. Der Spielraum für Theresa May ist also denkbar klein. Wie sie da eine Mehrheit für einen - wie auch immer gestalteten - Austrittsvertrag zustande bringen will, ist Stand heute völlig offen.
Und der für Mitte November geplante Sondergipfel zum Brexit liegt erstmal auf Eis. Nur wenn die Blockade durchbrochen wird, hat ein solches Treffen Sinn, heißt es in Brüssel. Aber die Uhr tickt weiter, wie Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel es ausdrückt: "Wir haben nicht mehr so lange Zeit, am 29. März ist das Spiel vorbei".