EU-Gipfel zu Corona-Hilfen Viel Optimismus - trotz offener Fragen
Nach hitzigen Debatten um den Corona-Wiederaufbaufonds lenken EU-Mitglieder verschiedener Lager vorsichtig ein: Eine Einigung sei möglich. Ein neuer Kompromissvorschlag soll am frühen Abend verhandelt werden.
Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsstaaten zeigten sich beim Sondergipfel zum geplanten Corona-Wiederaufbaufonds verhalten optimistisch, nachdem am frühen Morgen eine Verhandlungspause bis zum Nachmittag angekündigt worden war. Die Gespräche sollen um 18:00 Uhr fortgesetzt werden, teilte der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter mit. Zunächst war von 16.00 Uhr als Startzeit die Rede gewesen, später von 17.00 Uhr.
Der niederländische Premierminister Mark Rutte deutete an, dass es Fortschritte auf dem Weg zu einer Einigung gebe: "Zeitweise sah es letzte Nacht nicht gut aus, aber ich finde, dass wir insgesamt vorankommen", sagte er vor Journalisten. Ein Scheitern sei aber nach wie vor möglich.
Rutte war zuvor - unter anderem von Ungarns Präsident Viktor Orban - für seine konfrontative Haltung angegangen worden. Nun sagte Orban: "Ich denke, wir haben eine gute Chance, zu einer Vereinbarung zu kommen" - trotz einiger Länder, die sich querstellten.
"Wir können mit dem heutigen Ergebnis sehr zufrieden sein", twitterte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz aus der Gruppe der "Sparsamen Vier", der ebenfalls von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für sein Verhalten während der Gespräche scharf gerügt worden war. Macron selbst sieht nach eigenen Angaben inzwischen den "Geist eines Kompromisses". "Aber ich bleibe extrem vorsichtig", sagte er.
Neuer Kompromissvorschlag erarbeitet
Nach wie vor hakt es in den Verhandlungen bei der Grundsatzfrage, wie hoch der Anteil an gewährten Zuschüssen im Verhältnis zu den rückzahlungspflichtigen Krediten ausfallen soll. Am Morgen des vierten Verhandlungstags steht laut Teilnehmerkreisen die Zahl von 390 Milliarden Euro im Raum, auf deren Grundlage EU-Ratspräsident Charles Michel am Nachmittag einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen wolle.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dazu, man habe "einen Rahmen für eine mögliche Einigung erarbeitet". Dies gebe Hoffnung, "dass es heute vielleicht zu einer Einigung kommt" - sie hoffe, dass "die verbleibende Wegstrecke" zurückgelegt werden könne.
Neben Österreich und den Niederlanden wollen Schweden und Dänemark - die sogenannten Sparsamen Vier -, aber auch Finnland am liebsten nur rückzahl- und rechenschaftspflichtige Kredite gewähren: Die Nettozahler befürchten, dass bei hohen, von ihren Steuerzahlern finanzierten Zuschusszahlungen Reformen in den Empfängerländern verschleppt werden.
Inzwischen haben sich die Länder in der Frage, wie die Verteilung der Gelder kontrolliert werden soll, allerdings offenbar verständigt. Auch die Beitrags-Rabatte, die unter anderem Österreich zugute kommen sollen, wurden noch einmal aufgestockt.
Streit gibt es aber nach wie vor um die Frage, inwieweit Hilfsgelder von der Rechtsstaatlichkeit abhängig gemacht werden können - insbesondere die zunehmend autoritär regierten Visegrad-Staaten Ungarn und Polen sträuben sich dagegen.
EU vor "historischer Aufgabe" - und gespalten
Deutsche Bundespolitiker teilten den Optimismus aus Brüssel zunächst nicht. Die erneute Verlängerung der Verhandlungen zeige, "dass alle eine Lösung wollen", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas - aber auch, dass es einer gewaltigen Kraftanstrengung bedürfe, um die EU wieder zu stärken. Er plädierte für Solidarität aller Staaten untereinander, die sich auch auszahlen werde.
Der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Norbert Röttgen, sprach von einem erschreckenden "Ausmaß von Egoismen einzelner Teilnehmer" bei dem Gipfeltreffen. Europa erlebe eine "Jahrhundertpandemie und eine Jahrhundertrezession zugleich" und stehe vor einer "historischen Aufgabe", die Einheit Europas zu bewahren, betonte er im ARD-Morgenmagazin. "Das ist eine Situation, in der Europa beweisen muss, dass die Stärkeren den Schwächeren helfen."
Einem Bericht der "Bild" zufolge tritt allerdings selbst die Bundesregierung nicht geeint auf: Der Europa-Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Michael Roth, habe demzufolge bei mehreren EU-Staaten für eine klare Haltung gegenüber Staaten geworben, die die Rechtsstaatlichkeit verletzen - anders als Merkel, die sich etwa Ungarn zufolge kompromissbereit zeigte.
"Man hat manchmal den Eindruck, dass die Europäische Union sich in vier Teile aufteilt, den Norden, den Süden, den Osten, den Westen - und man weiß nicht mehr genau, was in der Mitte das Ding zusammenhält", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im "Deutschlandfunk". Dieser politische "Kleinkrämergeist" sei nicht geeignet, die Größe der Aufgabe zu meistern, die sich der EU stelle.
Spanien mit Bedingungen für Hilfen einverstanden
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte, dessen Land stärkster Profiteur eines Corona-Wiederaufbaufonds wäre, forderte die "Sparsamen Vier" zur Aufgabe ihrer Blockadehaltung auf: "Es sind hier alle eingeladen, eine Einigung zu erzielen. Und viele wollen das auch, weil das im Interesse aller wäre", sagte er.
Mit Spanien zeigte sich wiederum einer der potentiellen Empfängerstaaten bereit, die Auszahlung von Corona-Hilfen an Bedingungen oder eine starke Kontrolle zu knüpfen. "Wir lehnen Konditionalität nicht ab. Aber wir wollen Transparenz", sagte Außenministerin Arancha González dem Radiosender Cadena SER. Ministerpräsident Pedro Sánchez strebe an, "Spanien zum Teil der Lösung zu machen".
Mit Informationen von Matthias Reiche, ARD-Studio Brüssel.