Vor Demo gegen Antisemitismus Streit statt Einigkeit in Paris
In Paris werden Zehntausende Menschen zu einem Marsch gegen Antisemitismus erwartet. Doch was als Symbol der Einheit gedacht war, sorgte im Vorfeld für massiven politischen Streit.
Die Jüdinnen und Juden in Frankreich fühlten sich einsam und verlassen, sagte diese Woche der Präsident der jüdischen Verbände in Frankreich, Yonathan Arfi. Der große Marsch gegen Antisemitismus werde dieses Gefühl der Einsamkeit hoffentlich auflösen. Und er setzte hinzu: "Die jüdischen Franzosen haben das Gefühl, einen entscheidenden, einen historischen Moment für ihr ganzes Dasein in Frankreich zu erleben."
Angemeldet wurde die Demonstration in Paris von der Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël BraunPivet von der Regierungspartei Renaissance und vom Präsidenten des Senats, Gérard Larcher von den konservativen Les Républicains. Es müsse einen Aufbruch geben, forderte Larcher und Braun-Pivet erklärte im Sender TF1: "Die Spannung, der Hass, der wachsende Antisemitismus machen uns betroffen. Wir können nicht tatenlos zusehen. Und deshalb haben wir diese gemeinsame Aktion gestartet."
Gezerre um Teilnehmer
Doch was als starkes Zeichen der Einheit gegen den Antisemitismus gedacht war, hatte bereits im Vorfeld für tagelangen Streit gesorgt. Die Führungsfigur der extremen Linken, Jean-Luc Mélenchon, verunglimpfte die Initiative der beiden Parlamentspräsidenten. Er schrieb auf der Plattform X, dies sei die "Demo derjenigen, die das Massaker in Gaza ohne Wenn und Aber unterstützen". Er kündigte an, dass seine Partei, La France insoumise, nicht mitdemonstrieren werde und meldete stattdessen eine Demo gegen den Krieg in Gaza an.
Auch die Reaktion der größten extrem rechten Partei sorgt für hitzige Debatten. Denn der Rassemblement National (RN) will auch mitmarschieren. Die Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen erklärte im Fernsehsender TF1: "Ich werde da sein, Parteichef Jordan Bardella wird da sein, sowie all unsere Abgeordneten. Und ich rufe jeden Anhänger unserer Partei auf, sich dieser Demonstration anzuschließen."
Die Rechten hätten auf der Demo nichts zu suchen, konterte Regierungssprecher Olivier Véran. Der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, sieht das genauso und erklärte, der RN habe mit seiner antisemitischen Vergangenheit nicht gebrochen. Faure bezog sich dabei auf ein Interview, das RN-Chef Bardella diese Woche dem Fernsehsender BFMTV gegeben hat. Darin wand sich der junge Parteichef, als er gefragt wurde, ob der Gründer der Vorgängerpartei Front National, Jean-Marie Le Pen, Antisemit sei.
Zur Erinnerung: Jean-Marie Le Pen hat den Holocaust einst als "Detail der Geschichte" bezeichnet und wurde vor Gericht wegen antisemitischer Aussagen verurteilt. Bardella konnte sich dennoch nicht dazu durchringen, den Gründervater der Partei einen Antisemiten zu nennen. Damit hat er den Kritikern des RN eine Steilvorlage geliefert und den Streit um die Teilnahme des RN an der Demonstration befeuert.
Jüdische Vertreter geißeln die extreme Linke
Doch nicht alle sehen die angekündigte Teilnahme von RN-Mitglieder kritisch. Zustimmung erhielt die Partei ausgerechnet von Serge Klarsfeld, dem jüdischen Anwalt und Präsidenten der Vereinigung "Töchter und Söhne der deportierten Juden in Frankreich". Klarsfeld sagte im Radiosender Europe 1, der RN sei seit einigen Jahren nicht mehr antisemitisch und gerade dabei, die republikanischen Werte zu verinnerlichen. "Auf die antizionistische und antisemitische Linke allerdings können wir verzichten. Der Rassemblement National ist salonfähig geworden und wir werden ihn am Sonntag bei der Demo willkommen heißen."
Alles spielt RN-Fraktionschefin und Ex-Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen derzeit in die Hände und sie hatte das Geschick, geradezu demütig anzukündigen, dass sie - wenn nötig - am Ende des Demonstrationszuges laufen werde.
Präsident Emmanuel Macron versuchte diese Woche, die in seinen Augen unlauteren Absichten beider extremer Lager zu entlarven. Dem linken Anführer Mélenchon warf er indirekt vor, sich mit seiner uneindeutigen Haltung zum Antisemitismus bei seinen Anhängern innerhalb der muslimischen Community anbiedern zu wollen. Und mit Blick auf den Rassemblement National deutete Macron an - ohne freilich den Namen der Partei zu nennen - das Motiv der Rechtsextremen sei in Wahrheit nicht die Unterstützung der Juden, sondern die Ablehnung der Muslime.
Anzahl antisemitischer Taten steigt stark
Angesichts des rasanten Anstiegs antisemitischer Taten seit dem 7. Oktober sagte Macron bei einer Veranstaltung am Mittwoch: "Sich an einem Juden zu vergreifen, bedeutet, sich an der Republik zu vergreifen." Es geht um Hakenkreuz-Schmierereien, verbale Drohungen aber auch um körperliche Attacken. Innenminister Darmanin teilte mit, dass im Zusammenhang mit den rund 1.200 antisemitischen Taten in den vergangenen Wochen mehr als 500 Menschen vorläufig festgenommen wurden. Mehr als 100 von ihnen würden ihren Aufenthaltsstatus verlieren, so Darmanin.
Gefährliche Mischung
Ob die Demonstration in Paris und die vielen geplanten Kundgebungen im ganzen Land dazu führen werden, dass sich jüdische Bürger und Bürgerinnen wieder sicherer fühlen, ist fraglich. Fakt ist, dass rechter, linker und muslimischer Antisemitismus gerade eine toxische Mischung bilden. Der Hass auf Israel und die Juden ist in der migrantischen Community weit verbreitet.
Der Vorsitzende der jüdischen Studenten Frankreichs, Samuel Lejoyeux, sagte dem ARD Studio Paris: "Wenn man heute an der Uni seine Unterstützung für Israel demonstrieren will oder einfach nur die Tatsache, dass man jüdisch ist, wird man sofort bedroht, als dreckiger Zionist beschimpft, das ist die Realität." Aber die Spannung bestehe nicht nur zwischen Juden und Moslems. Der Hass auf Juden werde auch von den extrem linken Parteien, die an der Uni sehr präsent seien, instrumentalisiert.
Nun kommt es in Frankreich auf die gemäßigten und versöhnlichen Stimmen an, wie die von Hassen Chalghoumi. Nachdrücklich rief der Imam von Drancy alle Muslime dazu auf, am Sonntag mit zu demonstrieren. "Das ist doch ein Marsch der ganzen Gesellschaft. Wenn unsere jüdischen Mitmenschen draußen nicht mehr die Kippa aufsetzen können, ist das unwürdig. Und das verdient, dass wir demonstrieren und alle auf die Straße gehen."