Isolationshaft in Italien Wie ein Anarchist Meloni unter Druck setzt
Die italienische Regierung hat ein Problem: Alfredo Cospito. Die strenge Isolationshaft des Anarchisten ist zum Politikum geworden, nachdem ein Parteifreund von Ministerpräsidentin Meloni aus vertraulichen Dokumenten zitierte.
Wütend stehen junge Männer und Frauen vor dem Gefängnis Opera im Süden Mailands. In Sprechchören fordern sie immer wieder eine Erleichterung der Haft für Alfredo Cospito, der vor ein paar Tagen hierher verlegt worden ist. Ihre Wut richtet sich gegen den Staat.
Der 55-jährige Anarchist ist seit mehr als 100 Tagen im Hungerstreik, er will bessere Haftbedingungen erreichen. Denn für Cospito gilt der "Artikel 41-bis", der äußerst strenge Regeln vorsieht. Das gesamte Leben - auch Gespräche und jeder Moment - werde überwacht und aufgezeichnet, alles per Video, erzählt Daniela De Robert.
Die schmale Frau mit dem aufgeweckten Gesicht kennt sich aus. Regelmäßig besucht sie Gefangene. De Robert gehört dem staatlichen Aufsichtsgremium "Garante Nazionale dei diritti delle persone private della libertà personale" an. Es ist ein Kontrollorgan für die Rechte von Häftlingen.
Viele "41-bis-Gefangene" gehören zur Mafia
Die Gefangenen innerhalb der Abteilung können sich nicht mit jedem treffen. An drei Stunden pro Tag können sie mit höchstens drei anderen Personen zusammenkommen, so De Robert. Diese werden von der Verwaltung ausgewählt. Die Mehrheit der etwa 730 Gefangenen, die unter "Artikel 41-bis" fallen, gehören der Mafia an.
Mit dieser Sonderregelung solle die Kommunikation unterbunden werden - zwischen den festgenommenen, den angeklagten und den verurteilten Personen sowie ihren kriminellen Organisationen außerhalb als auch innerhalb der Haftanstalt, erklärt De Robert.
An Alfredos Seite: Unterstützer des Anarchisten Cospito laufen bei einer Demo durch die Straßen Roms.
Internationale Solidarität von Anarchisten
Doch Cospito ist Anarchist, seit zehn Jahren sitzt er wegen zwei Anschlägen im Gefängnis. Im vergangenen Jahr wurde ein Bombenattentat, bei dem Sachschaden entstanden war, vom Kassationsgericht als Anschlag gegen die Sicherheit des Staates eingestuft. Cospito kam in Isolationshaft.
Um den 55-Jährigen ist heftiger politischer Streit entbrannt, zunächst ausgelöst durch Protestaktionen von Sympathisanten in mehreren Ländern. In Berlin setzten Anarchisten das Auto eines italienischen Diplomaten in Brand, in Barcelona schlugen sie Scheiben des Konsulats ein.
Meloni: Staat darf sich nicht erpressen lassen
Bereits im Dezember war in Athen das Auto einer Botschaftsmitarbeiterin mit Molotowcocktails angegriffen worden. Die Anarchisten solidarisieren sich mit Cospito, sie wollen den Druck erhöhen. Doch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni beschwört, dass sich der Staat nicht erpressen lassen dürfe. "Ich glaube, dass der Staat nicht mit der Mafia verhandeln darf", sagt Meloni. "Und ebenso wenig mit jemandem, der ihm droht."
Aber der Fall Cospito setzt ihre Regierung unter Druck. Parteifreund Giovanni Donzelli von der Fratelli d'Italia und Vizechef des Geheimdienstausschusses plauderte im Parlament sensible Informationen von Abhörprotokollen im Gefängnis aus.
In aller Ausführlichkeit schilderte er, wie Cospito auf dem Weg zu einem Gespräch mit seinem Anwalt mit Francesco Di Maio vom Casalesi-Clan gesprochen habe. Die Casalesi, ein Mafia-Clan der Camorra, hätten vor einigen Tagen Cospito ermutigt, weiterzumachen. Und der Boss der Casalesi habe gesagt: "Schritt für Schritt werden wir zum Ergebnis kommen, also zur Abschaffung des '41-bis'."
Rücktritt von Donzelli gefordert
Wie konnte Donzelli an die sensiblen Dokumente kommen? Die Opposition hakte nach. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat eingeleitet. Donzelli wiederum unterstellt der Oppositionspartei eine gewisse Nähe zu Cospito und zur Mafia. Denn vier Abgeordnete der Sozialdemokraten hätten Cospito im Gefängnis besucht, sagt der Politiker der Fratelli d´Italia.
Solche Besuche sind in Italien Routine, doch der Eklat heizte sich auf. Tag für Tag kommt es zum Schlagabtausch. Donzelli, so die Forderung, müsse als Vizechef des Geheimdienstausschusses zurücktreten. Auch die Parteifreunde bringen Meloni nun unter Druck, am Wochenende sah sie sich genötigt, in einem Brief zur Mäßigung aufzurufen.
Cospito will Hungerstreik fortsetzen
Doch der Anarchist Cospito will nicht aufgeben, das hat er immer wieder betont. Nach den Angaben von De Robert will er nicht künstlich ernährt werden. Sollte er das Bewusstsein verlieren, sei das natürlich eine komplexe Angelegenheit. Der Staat müsse sich die Frage stellen, wie er die Menschen schützt, die ihm anvertraut sind. Cospito ist kein freier Mensch, der tun kann, was er will, sondern er ist dem Staat anvertraut, sagt De Robert.
Bis zum 12. Februar kann Justizminister Carlo Nordio über einen Widerrufsantrag von Cospitos Anwalt entscheiden, zwei Wochen später steht die Berufungsverhandlung beim höchsten Gericht an. Cospitos Anhänger befürchten: Dann könnte es zu spät sein.