Slowakei nach Fico-Attentat Debatte über politische Gräben und Sicherheitslücken
Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef diskutieren die tief gespaltenen politischen Lager über die Folgen. Die Opposition will vorerst auf politische Angriffe verzichten. Auch die Sicherheitskräfte sind weiter Thema.
In der Slowakei gehe es nun darum, Robert Fico zu retten, aber auch das ganze Land - so fasst eine Zeitung die Herausforderungen nach dem Attentat zusammen. Mit einer schnellen Genesung des Regierungschefs ist nicht zu rechnen, heißt es aus dem Krankenhaus in Banska Bystrica.
Der gewählte Präsident Peter Pellegrini berichtet von einem ersten kurzen Gespräch mit seinem früheren Parteifreund Fico. Der Premier erinnere sich an alles. "Das war sehr emotional, einen Menschen, den ich 20 Jahre lang voller Kraft bei der Ausübung seiner politischen Posten erlebt habe, auf der Intensivstation zu sehen", erzählt er. "Aber er selbst hat dazu aufgerufen, die Gesellschaft zu beruhigen, damit so etwas nicht noch einmal passiert."
Innenminister stellt sich klar gegen Vorwürfe
Am Montag wollen die Ärzte über das weitere Vorgehen entscheiden und berichten. Die slowakischen Behörden prüfen, ob Ficos Sicherheitsleute den Premier ausreichend geschützt haben. Experten kritisierten geringe Vorkehrungen am Tatort in Handlova. Einige sprechen sogar von "Versagen".
"Jemand hat sich entschieden, zu schießen, weil er mit der Politik der Regierung nicht einverstanden war. Jetzt wird aber darüber diskutiert, ob die Sicherheitskräfte versagt haben", kritisiert Innenminister Matus Sutaj Estok. "Ich sage es ganz klar: Das haben sie nicht. Wissen Sie, wo der Chef des Amts zum Schutz von Verfassungsträgern gestern war? Er war in Handlova. Wissen Sie, wie sein Anzug aussah? Blutverschmiert."
"Wir wollen die Gesellschaft beruhigen"
Einen Notstand wolle die Regierung vorerst nicht ausrufen, erklärt Verteidigungsminister Robert Kalinak als erster Stellvertreter von Fico. "Das wäre bei so einem Ereignis nichts Ungewöhnliches", sagt er. "Wir haben aber beschlossen, dass wir keine Rechte einschränken wollen. Wir wollen die Gesellschaft beruhigen." Auch wolle die Regierung die Polizei und andere Sicherheitskräfte in erhöhte Bereitschaft versetzen. "Wir halten das für den richten Weg."
Die Polizei will hart gegen Hass und Fake News vorgehen, doch im Internet kursieren inzwischen krude Theorien über den politischen Hintergrund des mutmaßlichen Attentäters. Der 71-jährige Rentner sei Parteimitglied der oppositionellen "Progressiven Slowakei" oder Teil einer prorussischen Nachtwolf-Organisation. Verbreitet wird auch ein gefälschtes Foto des früheren Wachmannes mit dem Vater des Oppositionsführers, ein bekannter Journalist.
Ein Versuch von Frieden
Laut der Regierung war der Schütze ein einsamer Wolf, weder Teil einer linken noch rechten Organisation. Und unzufrieden mit der Regierung. Einige Politiker aus Ficos linksnationaler und rechtsnationaler Koalition greifen das liberale Lager und kritische Medien verbal nun noch heftiger an.
Der Oppositionschef Michal Simecka hält dagegen: "Wir wollen ein klares Signal senden und bieten als ersten Schritt 100 Tage Ruhe an", sagt er und ruft dazu auf 100 Tage lang auf alle politischen Angriffe zwischen den Parteien zu verzichten. "Darüber will ich mit allen Kräften der Opposition und der Koalition reden."
"Ereignis, dass Veränderungen bewirken muss"
Die scheidende Präsidentin Zuzana Caputova lädt alle Parteien zu gemeinsamen Gesprächen ein. In einer versöhnenden Geste trat sie mit ihrem gewählten Nachfolger Pellegrini aus dem gegnerischen Lager vor die Mikrofone. In einer Erklärung fordern auch 25 slowakische Medien die Politik auf, die Gesellschaft nicht weiter zu spalten. Andernfalls würden Spannungen und Gewalt eskalieren.
"Es ist ein Ereignis, dass Veränderungen bewirken muss", sagt auch der Psychologe Marek Madro. "Wir müssen anhalten und anfangen, zusammenzuarbeiten. Das ist eine gewaltige Anstrengung für uns alle. Aber es ist möglich, die Spirale der Gewalt zu stoppen."