Nach Null-Covid-Politik Chinas striktes Schweigen
Vor einem Jahr beendete die chinesische Führung schlagartig ihre strikte Null-Covid-Politik. In kurzer Zeit infizierten sich in der Folge geschätzte 90 Prozent der Menschen mit Corona. Doch offizielle Angaben fehlen.
Pressekonferenz in Peking, am 7. Dezember vergangenen Jahres. Mi Feng, der Sprecher der Nationalen Gesundheitskommission, verkündete überraschend das Ende von Chinas strikter Null-Covid-Politik. Nahezu alle Maßnahmen, die fast drei Jahre in Kraft waren, wurden schlagartig aufgehoben: Zwangsquarantäne und Isolation, Massentests von ganzen Millionenstädten, Kontaktnachverfolgung anhand von Mobilfunkdaten und mithilfe von Apps.
"Gesundheits- und Reisecodes werden nicht mehr überprüft, wenn Menschen in andere Regionen reisen - weder bei der Abreise noch bei der Ankunft. Alle Behörden müssen dies regelgerecht umsetzen", teilte der Sprecher mit.
"Es war eine riesige Epidemie"
Wegen der strikten Null-Covid-Politik gab es über Jahre hinweg nur wenige Corona-Fälle in China. Natürliche Immunität durch Infektionen gab es kaum. Viele Menschen fühlten sich zudem sicher und hielten es nicht für notwendig, sich ausreichend impfen zu lassen. Mit dem plötzlichen Wegfall der Maßnahmen steckten sich innerhalb weniger Wochen schätzungsweise 90 Prozent der Menschen mit dem Coronavirus an, so der Epidemiologe Ben Cowling von der Hongkong-Universität.
"Bei Menschen, die zu diesem Zeitpunkt mit zwei oder drei Dosen geimpft waren, verliefen die Infektionen im Normalfall recht mild. Aber bei den Ungeimpften, insbesondere bei einem Teil der älteren Menschen in China, verliefen die Infektionen etwas schwerer", sagt er. Leider seien dabei im vergangenen Winter vermutlich viele Menschen gestorben. "Meine Kollegen und ich gehen von rund 1,5 Millionen Todesfällen im ganzen Land aus. Andere Schätzungen liegen etwas darunter, manche etwas darüber. Es war eine riesige Epidemie."
Keine offiziellen Angaben zu Toten
Die chinesische Staats- und Parteiführung schweigt über die Folgen des Ausbruchs. Todeszahlen werden unter Verschluss gehalten. Bis heute gibt es auch keine nachvollziehbare Begründung, warum die Maßnahmen so schlagartig beendet wurden: ohne Vorwarnung, ohne verstärkte Impfkampagne, ohne die Krankenhäuser vorzubereiten und ohne Vorräte an Schnelltests und Fiebermedikamenten anzulegen.
Beobachter gehen davon aus, dass das Virus heute vor einem Jahr bereits außer Kontrolle war. Die immer ansteckenderen Omikron-Varianten ließen sich schlicht nicht mehr aufhalten. Dazu waren die Maßnahmen für viele Kommunen nicht mehr bezahlbar.
Ende November vergangenen Jahres gab es sogar in mehreren Städten Proteste gegen die Null-Covid-Politik - unter anderem in Peking und Shanghai. Vor allem junge Menschen gingen auf die Straße und hielten weiße, unbedruckte Blätter Papier in die Luft, um auf die strikte Zensur im Land aufmerksam zu machen. Viele sprechen deswegen von "White Paper Protests". Die Polizei ging zwar häufig nicht direkt gegen die Protestierenden vor, viele landeten allerdings später im Gefängnis oder bekamen andere Repressionen zu spüren.
Weitere Atemwegsinfektionen kursieren
Und die Corona-Situation in China heute, ein Jahr nach dem Ende von Null-Covid? Noch immer würden viele Menschen mit einer Covid-Infektion in Krankenhäusern behandelt, so der Epidemiologe Cowling. Vermutlich müssten noch immer mehr Menschen mit Covid-Infektionen im Krankenhaus behandelt werden als mit Grippe, auch nach einem Jahr mit sehr vielen Infektionen in China. "Ein Unterschied: In anderen Ländern haben sich die Menschen im Schnitt schon häufiger angesteckt", sagt er. "In Europa haben viele inzwischen ihre dritte oder vierte Covid-Infektion. In China bekommen viele gerade jetzt ihre zweite Infektion."
Der Epidemiologe zeigt sich verwundert, dass es bis heute keine flächendeckende Impfkampagne in China gibt - weder für Covid-Booster noch für Influenza. Dabei tritt China gerade in den ersten vollen Winter komplett ohne Schutzmaßnahmen ein. Viele Krankenhäuser in Nordchina sind bereits überfüllt. Neben Covid und Grippe kursieren noch weitere Atemwegsinfektionen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sich deswegen besorgt gezeigt und von China im November Aufklärung verlangt.
Die Staats- und Parteiführung versucht zu beschwichtigen: Dass sich jetzt mehr Leute anstecken, sei ganz normal wegen des Wegfalls der Maßnahmen. Und: Bei allen Fällen handle es sich um bereits kursierende Erkrankungen, es seien keine neuen Erreger festgestellt worden.