Reform der Pharma-Gesetze Brüssels Pläne gegen den Mangel
Ob Fiebersaft für Kleinkinder oder spezielles Krebsmedikament: Mängel in der medizinischen Versorgung können jeden treffen. Die EU-Kommission hat deshalb nun ein Reformpaket vorgelegt - und spricht von einem "historischen Tag".
Engpässe bei Medikamenten, überhöhte Preise und eine ungleiche Versorgung der EU-Staaten mit neuen Arzneimitteln sollen nach dem Willen der EU-Kommission der Vergangenheit angehören. Die Brüsseler Behörde hat eine umfassende Reform der 20 Jahre alten Pharma-Gesetzgebung für Europa vorgeschlagen.
Ziel ist zugleich, die Entwicklung neuer Präparate anzukurbeln und die heimische Industrie wettbewerbsfähig zu halten. "Dies ist ein historischer Tag für Bürger, Patienten und die Industrie", sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Lob von Verbraucherschützern, Kritik aus der Industrie
Der europäische Verbraucherverband Beuc begrüßte die Vorschläge als Schritt in die richtige Richtung, forderte jedoch weitere Schritte insbesondere gegen Versorgungslücken und hohe Preise. Die großen Pharmakonzerne hätten "wie verrückt Lobbyarbeit" betrieben, um ihre Gewinne zu schützen, beklagte Generaldirektorin Monique Goyens.
Der Präsident des Europäischen Pharmaverbands (EFPIA), Hubertus von Baumbach, warnte dagegen, die Vorschläge gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie.
Schwachstellen in Lieferketten angehen
Konkret plant die Kommission, eine Liste besonders wichtiger Präparate anzulegen. Schwachstellen in den Lieferketten dieser Medikamente sollen angegangen werden. Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, Versorgungslücken und den Rückruf von Medikamenten früher zu melden und Vorsorgepläne zu erstellen.
Die 27 EU-Staaten teilen zwar einen Binnenmarkt - bei der Versorgung mit Medikamenten gilt das allerdings längst nicht. In westlichen und größeren Ländern wie Deutschland hätten die Patienten Zugang zu 90 Prozent neuer Arzneimittel, sagte Kyriakides. In den östlichen und kleineren Staaten seien es nur zehn Prozent.
Die EU-Kommission will nun mit Anreizen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger aller EU-Staaten Zugang zu neuen Medikamenten haben. Konkret soll der Kommission zufolge das System für den Schutz neuer Präparate vor der Konkurrenz durch Nachahmerprodukte wie Generika überarbeitet werden.
Millionen Menschen sollen profitieren
Bislang dürfen derlei Generika spätestens elf Jahre nach der Zulassung des ursprünglichen Präparats in Europa auf den Markt. Nach Vorstellung der Kommission könnten es künftig zwar bis zu zwölf Jahre werden. Der Standardschutz soll jedoch nur noch acht anstelle von zehn Jahren betragen. Für eine Verlängerung müssen die Unternehmen Kriterien erfüllen, die den Zielen der EU-Kommission entsprechen.
So können etwa weitere zwei Jahre hinzukommen, wenn ein Unternehmen sein neues Medikament in allen EU-Staaten auf den Markt bringt. Allein dadurch könnten nach Angaben der EU-Kommission bis zu 67 Millionen weitere Menschen von einem neuen Medikament profitieren.
Auch die Entwicklung eines bislang fehlenden Medikaments soll mit einem weiteren halben Jahr Schutz belohnt werden. Zugleich will die EU-Kommission sicherstellen, dass Generika an Tag eins nach Ablaufen des Monopol-Schutzes auf den Markt kommen - und dass bürokratische Hürden die Zulassung nicht verzögern.
Was tun gegen Antibiotikaresistenzen?
Nach EU-Schätzungen sterben jedes Jahr mehr als 35.000 Menschen in Europa aufgrund von Antibiotikaresistenzen. Damit handelt es sich um die drittgrößte Gefahr für die öffentliche Gesundheit - nach Erregern mit hohem Pandemiepotenzial sowie chemischen, biologischen oder nuklearen Bedrohungen. EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas sprach von einer "stillen Pandemie".
Die Kommission schlug nun vor, die Entwicklung bahnbrechender Antibiotika attraktiver zu machen. Konkret könnten Unternehmen, die ein solches Präparat herstellen, künftig einen Gutschein über den Schutz der Daten eines Medikaments - also eines Monopols - für ein weiteres Jahr erhalten. Dieser Gutschein soll nicht an das neue Antibiotikum gebunden sein und könnte auch verkauft werden.
Die Kosten eines solchen Gutscheins für die nationalen Gesundheitssysteme liegen nach Angaben einer EU-Beamtin bei rund 500 Millionen Euro. Diese werden nach Angaben der Kommission jedoch weitgehend durch vermiedene Todesfälle und Krankheiten ausgeglichen. In der gesamten EU sollen innerhalb von 15 Jahren nicht mehr als zehn Gutscheine vergeben werden.
Die EU-Kommission legte zudem nicht bindende Empfehlungen gegen die resistenten Erreger vor, die vor allem auf zurückhaltenden Gebrauch von Antibiotika abzielen.
Bürokratie abbauen und mehr Umweltschutz
Grundsätzlich sollen neue Medikamente nach dem Vorschlag der EU-Kommission künftig schneller zugelassen werden. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA soll im Regelfall innerhalb von 180 statt 210 Tagen ihre Einschätzung abgeben, die Zulassung der EU-Kommission soll innerhalb von 46 statt 67 Tagen erfolgen.
Unter anderem durch mehr Digitalisierung sollen bürokratische Verfahren entschlackt werden. Die öffentliche Finanzierung der Entwicklung neuer Medikamente soll transparenter werden. Zudem sollen bestehende Regeln zum Schutz der Umwelt durch Arzneimittel besser durchgesetzt werden.