Durch die belgische Polizei im EU-Korruptrionsskandal beschlagnahmtes Bargeld

Korruptionsverdacht in der EU Was kommt da noch?

Stand: 17.12.2022 04:04 Uhr

Durchsuchungen, Verhaftungen und säckeweise Euroscheine: Der Korruptionsskandal im EU-Parlament erschüttert Brüssel und überschattete die Plenarwoche in Straßburg. Die bange Frage: Was wird noch enthüllt?

An der Tür von Büro Nummer 069 im zwölften Stock des Straßburger EU-Parlamentsgebäudes klebt ein rotes Behördensiegel. Daneben hängt ein mit dem Parlamentsstempel versehener Zettel mit der Aufschrift: "Versiegeltes Büro, Eintritt verboten".

Normalerweise arbeitet hier Eva Kaili mit ihrem Stab, die griechische Abgeordnete, die für die sozialistische PASOK-Partei gewählt wurde. Aber seit einer Woche ist nichts mehr normal in Europas Volksvertretung.

Kaili sitzt in Untersuchungshaft, ebenso ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi, der ehemalige Europaabgeordnete Pier Antonio Panzeri und der Lobbyist Nicolo Figa-Talamanca. Giorgi und Panzeri haben zusammen die Nichtregierungsorganisation "Fight Impunity" gegründet, die Katar und Marokko genutzt haben sollen, um sich mit Geld und Geschenken politischen Einfluss zu erkaufen.

Kaili und ihr Umfeld sollen das Geld genommen haben. Bei Hausdurchsuchungen fanden belgische Ermittler säckeweise Bargeld.

 

Versiegeltes Büro von Eva Kaili

Versiegeltes Büro von Eva Kaili: In Büro 069 darf momentan niemand arbeiten.

Attacke von außen? Eher nicht

Publik wird der Skandal am vergangenen Wochenende. Am Montag danach brechen die Abgeordneten des EU-Parlaments und ihre Mitarbeiter zur Plenarwoche nach Straßburg auf. Schon im Zug aus Brüssel dorthin sind die Enthüllungen über die Katar-Connection bestimmendes Thema.

Viele Abgeordnete wirken regelrecht verstört. Ihnen ist klar, dass der Ruf ihrer Institution auf dem Spiel steht; einer Institution, die sich als Europas Vorkämpferin gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit verstand. Es ist nicht die erste Affäre um veruntreute Gelder und Mauscheleien im EU-Parlament - aber an einen Skandal von derartigem Ausmaß kann sich niemand erinnern.

Und sofort schwingt die bange Frage mit: Was kommt noch?

Versteinerte Mienen

Auf den Straßburger Parlamentsfluren herrscht angestrengte Besinnlichkeit: Im Atrium der Cafeteria intoniert ein baskischer Männerchor das "Hallelujah", am Rande des Plenarsaals singen österreichische Schülerinnen aus Wels und Steyr auf Einladung von Christdemokraten ihres Landes.

Aber im Plenum nebenan versteinerte Mienen, und viele sind erstaunt, als sich Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Montagnachmittag erstmals zur Affäre äußert. 

Die Christdemokratin aus Malta spricht von einem Angriff auf das Parlament, auf Europas Demokratie und Lebensweise. Das klingt nach einer Attacke von außen.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Der Skandal spielt mitten im Parlament. Kaili ist eine seiner 14 Vizepräsidenten bis zu ihrer fast einstimmigen Absetzung durch das Plenum Mitte der Woche. Ex-Abgeordnete und Parlamentsmitarbeiter sind verwickelt.

 

Gewaltiger Ansehensverlust

Die sozialdemokratische Fraktion schließt Kaili rasch aus. Die Vorsitzende Iratxe García Pérez kündigt eine interne Untersuchung an. Trotzdem wird intern Kritik am Krisenmanagement der Spanierin laut. Sie habe die Sache nicht im Griff, heißt es, leiste sich taktische Fehler.

Im Plenum halten sich Schuldzuweisungen in Grenzen. EVP-Fraktionschef Manfred Weber ruft sogar dazu auf, den Skandal nicht parteipolitisch auszuschlachten. Zu groß ist offenbar die Sorge, dass auch die eigenen Reihen betroffen sein könnten, zu gewaltig ist der Ansehensverlust, der durch die bisherigen Enthüllungen entstanden ist.

In den proeuropäischen Fraktionen wächst die Sorge, dass Rechtsaußenparteien den Skandal missbrauchen könnten, um bei der nächsten Europawahl in ihrem Sinne Stimmung zu machen. Also tut das Parlament, was es in dieser Lage tun kann: Das Präsidium sichert den belgischen Behörden uneingeschränkte Mitarbeit zu.

Alle Gesetzesvorhaben mit Bezug zu Katar werden gestoppt: Geplante Visaerleichterungen für Einreisende aus dem Emirat gibt es vorerst nicht. Außerdem will das Parlament die Entscheidung prüfen, den europäischen Luftraum für die staatliche Fluglinie Qatar Airways weiter zu öffnen.

 

Neue Regeln für ein altbekanntes Problem

Und das EU-Parlament schärft nach: Es verfügt zwar über vergleichsweise strenge Lobbyregeln, Verbandsvertreter müssen sich in ein entsprechendes Register eintragen lassen, um Zugang zu bekommen. Abgeordnete müssen Treffen mit Lobbyisten in der Regel online veröffentlichen.

Aber der Korruptionsskandal offenbart Lücken im Regelwerk: Künftig sollen auch Gespräche mit Regierungsvertretern von Nicht-EU-Ländern vermerkt werden. Die Parlamentarier wollen Vermögenserklärungen abgeben, ihre Nebeneinkünfte ausweisen und jegliche Finanzierung ihrer Bediensteten und der Fraktionen von außen verbieten.

Bisher hat sich das Parlament praktisch selbst kontrolliert, die Ethikkommission ist mit Abgeordneten besetzt. Demnächst sollen Fachleute von außen überprüfen, ob sich alle an die Regeln halten. Die EU-Kommission will dazu einen Vorschlag machen.

Grüne und Linke im Parlament fühlen sich bestätigt - sie fordern schon länger ein unabhängiges Ethikgremium.

Die Aufarbeitung beginnt erst, der Schaden ist gewaltig, der Skandal hat die Plenumswoche in Straßburg geprägt. Während die 27 EU-Staats- und Regierungschefs und -chefinnen beim letzten Gipfel in diesem Jahr überraschend viele weitreichende Beschlüsse fassen, ist das EU-Parlament mit anderem beschäftigt: mit sich selbst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 13. Dezember 2022 um 11:00 Uhr.