EU-Treffen zum Munitionsmangel Deutschland gegen gemeinsame Bestellungen
Dass die Ukraine viel mehr Munition braucht, ist der EU klar - doch wie sie beschafft werden soll, darüber ist man uneins. Im "Jumbo-Rat" suchen die Außen- und Verteidigungsminister der EU heute nach Lösungen.
Dass Europas Außenminister sich bei einem ihrer monatlichen Treffen mit Munition beschäftigen würden, mit Granatgrößen und Kalibertypen, hätten sich die Ministerinnen und Minister vor dem Krieg gegen die Ukraine wahrscheinlich nicht vorstellen können. Heute steht die Artillerie-Munition vom Kaliber 155 Millimeter ganz oben auf ihrer Tagesordnung.
Es gibt zu wenig davon, die Ukraine braucht Nachschub und zwar so dringend, dass die Munition sogar vergangene Woche Thema in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers war. Gemeinsam mit den europäischen Partnern werde die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Ukraine genügend Waffen und Ausrüstung erhält, sagte Olaf Scholz. "Ganz besonders wichtig ist, die Ukraine rasch mit der nötigen Munition zu versorgen."
Lager waren schon vor dem Krieg nicht voll
Doch die Lagerbestände leeren sich, nicht nur bei der Bundeswehr. Fast alle EU-Länder haben das Problem, weil schon viel Munition in die Ukraine geliefert wurde, aber auch, weil es schon vor dem Krieg nicht viel gab.
Ein Landkrieg mit Artillerie, so wie Russland ihn jetzt gegen die Ukraine führt, schien der Vergangenheit anzugehören. Deshalb wurde überall die Produktion für Munition zurückgefahren - auch für die 155 Millimeter NATO-Standard-Munition, die jetzt beispielsweise in den gelieferten Haubitzen gebraucht wird.
Allein in der zerstörerischen Schlacht um die ukrainische Stadt Bachmut werden so viele Granaten verfeuert, dass der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Reznikov gebetsmühlenartig auf Nachschub pocht. "Priorität Nummer eins", sagte Reznikov vor zwei Wochen den EU-Verteidigungsministern in Stockholm, "ist die Luftabwehr und Munition, Munition und noch mal Munition".
EU-Länder sollen ihre Lager prüfen
Europas Außenbeauftragter Josep Borrell schlägt vor, eine Milliarde Euro an die Länder zu geben, die noch mehr aus eigenen Munitionsbeständen an die Ukraine abgeben. Das Geld könnten sie dann für die Neubeschaffung nutzen. Das Durchforsten der Lagerbestände soll mit einer Erstattung von 50 bis 60 Prozent belohnt werden.
Ein Vorschlag, den die EU-Regierungen für sinnvoll halten, auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius macht sich dafür stark. "Aktuell muss es vor allem darum gehen, Bestände zusammenzusuchen und zu liefern, was immer wir können", sagte er in Stockholm nach den Gesprächen mit dem ukrainischen Kollegen.
Allerdings gibt es für Pistorius auch Grenzen für die Abgabe. Man werde liefern, was "wir im Angesicht unserer eigenen Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit liefern können". Die Botschaft: Deutschland unterstützt die Ukraine, wird dabei aber immer auch die Verteidigungspflichten im NATO-Bündnisgebiet im Auge behalten müssen.
Zentral bestellen oder jeder für sich?
Zumal es bei der Neubeschaffung nicht mit schnell erteilten Bestellungen getan ist. Die Rüstungsindustrie in Europa produziert im Moment nämlich weniger Munition als die Ukraine verfeuert. "Allein dadurch, dass wir alle mehr bestellen, gibt es noch nicht mehr", so Pistorius. "Es muss erst produziert werden, bevor es geliefert werden kann."
Über das Wie gehen die Meinungen aber auseinander. Die Brüsseler EU-Kommission will, dass die EU-Länder ihre Bestellungen bündeln, sie sollen dann zentral in Brüssel an die Rüstungsunternehmen weitergegeben werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schwebt ein ähnliches Verfahren wie bei der Bestellung von Impfstoffen in der Corona-Pandemie vor.
Mehrere Länder aber, darunter auch Deutschland, wollen lieber wie bisher national bestellen. Berlin verweist auf vorhandene Rahmenverträge mit den Rüstungskonzernen. Die könnten genutzt und ausgebaut werden - insgesamt gehe das nach deutscher Einschätzung schneller als unerprobte neue Bestellverfahren über Brüssel.
Industrie soll Abnahmegarantie bekommen
Relativ unumstritten ist, dass die Rüstungsindustrie Anreize bekommen soll, um die Produktion hochzufahren. Die Unternehmen sollen sich auf die Abnahme verlassen können. Dafür soll eine weitere Milliarde bereit gestellt werden. Die insgesamt zwei Milliarden Euro für die Munition kommen aus einem EU-Sondertopf, der sogenannten Friedensfazilität.
Auch Iran und Tunesien auf der Agenda
Über die Munition wird heute im sogenannten Jumbo-Rat gesprochen: Zu den 27 EU-Außenministern kommen die 27 Verteidigungsminister der Mitgliedsländer. Eine riesige Runde, die zeigt, wie groß der Zeitdruck ist. Man will schneller handeln als bisher.
Für die Außenminister kommen noch zwei weitere schwierige Themen dazu: die Frage, wie Europa mit dem Mullah-Regime im Iran verfährt, das nach wie vor brutal mit den Protestierenden umgeht und die Frage, wie man auf die Krise in Tunesien einwirken kann.