Die EU und die Wahl in Frankreich Daheim blockiert, in Europa geschwächt
Die EU ist erleichtert, dass Le Pens RN nicht die Parlamentswahl in Frankreich gewonnen hat. Doch in die Erleichterung mischt sich das Wissen, dass sich Frankreichs Rolle in der EU verändern wird.
Auf den Brüsseler Fluren ist jetzt historisches Gedächtnis gefragt: Vor fast drei Jahrzehnten gab es in Frankreich zum dritten und letzten Mal die "Cohabitation" (deutsch: "Zusammenleben"). Gemeint ist das mehr oder weniger unfreiwillige, aber notwendige Miteinander zwischen einem Präsidenten und einem Premierminister aus konträren politischen Lagern.
Jacques Chirac war damals französischer Staatspräsident, ein Europäer durch und durch, konservativ und eng an der Seite des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, mit dem er bei Staatsbesuchen in der Pfalz Saumagen aß.
Auf der anderen Seite war mit Lionel Jospin der Vorsitzende der Sozialistischen Partei. Ihn musste Chirac nach der Parlamentswahl 1997 zum Premier ernennen. Jospin fuhr dem behäbigen Chirac fortan immer wieder in die Parade und nötigte ihm Dinge ab, die er nie wollte.
"Es war wie Feuer und Wasser", erinnert sich ein langjähriger Brüsseler Beobachter, "aber für die EU ging in dieser Zeit mit dem Vertrag von Nizza doch auch etwas nach vorn". Dieser wurde im Jahr 2000 beschlossen und sollte die EU fit für die Osterweiterung machen - unter anderem mit mehr Mehrheitsentscheidungen.
Ungewissheit mit Folgen
Ähnlich schwierige Verhältnisse - diesmal mit ungewissem Ausgang für Brüssel - könnten sich wiederholen, wenn Präsident Emmanuel Macron bald einen linken Volksfront-Premier oder eine Premierministerin ernennen müsste. Das ist keineswegs ausgemacht, aber denkbar.
Die Europäische Volkspartei (EVP) zeigt sich aber erleichtert, dass es niemand aus dem ultrarechten Le-Pen-Lager werden kann. Eine Befürchtung, die nicht nur EVP-Chef Manfred Weber vor der umstrittenen Neuwahl geteilt hatte - mit seiner Warnung vor einem "Spiel mit dem Feuer".
Auch für Brüssel blockiert
Doch es drohen Probleme an anderer Stelle. Ohne eine stabile Regierung droht Frankreich eine Hängepartie, und erneute Parlamentswahlen wären erst wieder 2025 möglich. Bis dahin ginge im Land wenig voran - auch nicht für die EU.
Und selbst wenn Macron mit der bisherigen Regierung weiter arbeiten wollte, fehlt seinem Parteienbündnis "Ensemble" die Mehrheit im Parlament, um EU-Beschlüsse umzusetzen oder eigene Initiativen zu starten.
In der Außenpolitik unangefochten
Nur in der Außenpolitik und auf dem internationalen Parkett hat der überzeugte Pro-Europäer Macron nach wie vor das Sagen, denn hier kann der Präsident unangefochten agieren. Polens Ministerpräsident Donald Tusk rechnet denn auch wie viele andere EU-Spitzen damit, dass Frankreich weiter "fest an der Seite der Ukraine im Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor stehen wird".
Den NATO-Gipfel zum 75. Jubiläum des Bündnisses in Washington wird Macron wohl nutzen, um zu zeigen, dass ihm hier niemand hineinreden kann.
Vorerst kein nachhaltiges Handeln möglich
Schwieriger dürfte das für Macron in der heiklen Phase der Neubesetzung wichtiger EU-Spitzenpositionen werden. Eine geschäftsführende Regierung könnte im EU-Rat kaum Beschlüsse umsetzen, die der französischen Parlamentsmehrheit nicht passen - oder auch nur eigene EU-Initiativen entwickeln. Auch die deutsch-französische Achse dreht sich nicht ohne weiteres weiter.
Das bedeutet, dass Macron im Moment für Europa in die Zukunft denken kann, aber nicht nachhaltig Handeln.
Brüssel erwartet Einsparungen
Kommt aber in Frankreich eine neue Regierung im Rahmen einer "Cohabitation", müsste sie sich sofort mit der Finanzkrise beschäftigen, sicherlich keine Aufgabe, um sich beliebt zu machen. Die EU-Kommission hat ein Verfahren wegen der extrem hohen Verschuldung des Landes eingeleitet.
Paris hat bis zum 20. September Zeit, einen Sparplan vorzulegen. Die öffentliche Verschuldung in Frankreich stieg 2024 auf rund 3.160 Milliarden Euro - das sind 111 Prozent des Bruttosozialproduktes.
Macron hatte Brüssel Einsparungen angekündigt, mindestens 30 Milliarden Euro - das dürfte jetzt schwierig werden, denn das erstarkte Linksbündnis fordert eine bessere Sozialpolitik und eine Rücknahme der Rentenreform, die mit Macrons Sparplänen nicht in Einklang zu bringen sind.
Wird aber kein Sparplan nach Brüssel geliefert, drohen EU-Sanktionen. In der Vergangenheit blieb es in ähnlichen Fällen bei Drohungen, was auch der gesamtwirtschaftlichen Lage geschuldet war. Diesmal könnte es anders kommen - zumindest aber stehen Macron ungemütliche Zeiten auch in Brüssel bevor.