Blick auf die französische Nationalversammlung in Paris.

Parlamentswahl in Frankreich Kann eine stabile Regierung gebildet werden?

Stand: 08.07.2024 06:58 Uhr

Das Linksbündnis ist bei der Parlamentswahl in Frankreich überraschend stärkste Kraft geworden, hat die absolute Mehrheit aber verfehlt. Eine Regierungsbildung dürfte kompliziert werden.

Jubel am Abend im Nordosten von Paris, wo sich Anhänger des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire (zu Deutsch: "Neue Volksfront") versammelt hatten. Das Bündnis geht als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervor.

Laut Berechnungen des Meinungsforschungsinstitutes Ipsos erreicht das Bündnis zwar keine absolute Mehrheit - schneidet aber deutlich besser ab, als vor dem zweiten Wahlgang prognostiziert und könnte zwischen 177 und 192 Sitze holen.

Politik der Befriedung angekündigt

Die Wähler hätten die republikanische Tradition aufrechterhalten und eine Regierung der extremen Rechten verhindert, sagte die Chefin der französischen Grünen, Marine Tondelier, am Abend. Die Arbeit fange aber erst an, betonte Tondelier - die als Architektin des Linksbündnisses gilt. "Wir bleiben entschlossen, unser Programm des Umbruchs fortzusetzen, damit nach vielen Jahren der Spaltung endlich eine Politik der Befriedung, der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit gemacht wird."

Zugleich klammerte Tondelier am Abend eine Frage aus, die für das Linksbündnis heikel ist und in den kommenden Tagen für Debatten sorgen dürfte: Die Frage nach einem Kandidaten oder einer Kandidatin für das Amt des Premierministers. Eine weitere entscheidende Frage dürfte sein, welche Rolle die linkspopulistische Partei LFI und vor allem deren Führungsfigur Jean-Luc Mélenchon künftig innerhalb des Bündnisses beanspruchen.

 

Deutliche Zugewinne für Rassemblement National

Der rechtsnationale Rassemblement National landet überraschend an dritter Stelle und bleibt damit hinter den Prognosen und auch hinter den eigenen Erwartungen zurück. Allerdings kann die Partei die Zahl ihrer Mandate deutlich steigern, erreicht wohl zwischen 138 und 145 Sitze. RN-Parteichef Jordan Bardella sprach vom größten Durchbruch in der Geschichte der Partei - und attackierte die gemeinsame Blockade-Strategie des Präsidentenlagers und des Linksbündnisses vor dem zweiten Wahlgang.

Bardella sprach von einer "Allianz der Schande" zwischen dem Präsidentenlager und insbesondere Kandidaten der linkspopulistischen Partei LFI. "Die gefährlichen Wahlarrangements, die Emmanuel Macron und Gabriel Attal mit der extremen Linken getroffen haben, nehmen den Franzosen die Chance auf eine Politik des Aufrichtens. Eine Politik, die sie mit ihrem Votum bei der Europawahl und bei der ersten Runde der Parlamentswahl letzte Woche deutlich verlangt hatten", sagte Bardella am Abend.

In mehr als 200 Wahlkreisen hatten sich Kandidaten des Präsidentenlagers und des Linksbündnisses vor dem zweiten Wahlgang zurückgezogen - wenn der jeweils andere bessere Chancen hatte, den RN in der Stichwahl zu schlagen.

 

Zwischen Einsicht und Emanzipationsversuchen

Ensemble, das Mitte-Lager um Präsident Emmanuel Macron, verliert seine relative Mehrheit im Parlament und ist künftig mit 152 bis 158 Sitzen nur noch zweitstärkste Kraft. Im Vergleich zur vorherigen Nationalversammlung büßt Ensemble viele Mandate und in der Folge politischen Einfluss ein.

Noch-Premierminister Attal räumte ein, dass das Präsidentenlager keine Mehrheit mehr habe. Trotzdem hätten die Menschen eine klare Entscheidung getroffen, so Attal - indem sie weder der extremen Rechten eine absolute Mehrheit verschafft haben, noch einem Bündnis mit Beteiligung der Linksaußenpartei LFI. Er fügte hinzu: "Der Schwerpunkt der politischen Macht liegt von nun an, und mehr denn je, beim Parlament."

Beobachter werten das auch als Emanzipationsversuch Attals gegenüber Präsident Macron - und als implizite Aufforderung an den Präsidenten, das Parlament künftig stärker einzubinden. Macron selbst äußerte sich bislang nicht. Der Präsident werde die Zusammensetzung des Parlaments abwarten, um die nötigen Entscheidungen zu treffen, hieß es aus dem Élysée.

Mehrheitsfindung könnte kompliziert werden

Attal kündigte außerdem an, am Montag sein Rücktrittsgesuch beim Präsidenten einzureichen. Er betonte aber zugleich, dass er seine Funktion "so lange ausfüllen werde, wie die Pflicht es verlangt". Ein Hinweis darauf, dass der Prozess der Mehrheitsfindung und Regierungsbildung lange dauern könnte. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, ob das Präsidentenlager und das Linksbündnis aufeinander zugehen - und unter welchen Bedingungen.

Entgegen dem Anspruch, den Präsident Macron nach der Auflösung der Nationalversammlung Anfang Juni geäußert hatte, sorgte diese Parlamentswahl nicht für "klare Verhältnisse". Die Französinnen und Franzosen haben einer extrem rechten Regierung zwar eine deutliche Absage erteilt. Die Frage, welche Regierung mit diesem Wahlergebnis möglich ist, bleibt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. Juli 2024 um 02:00 Uhr.