Krieg gegen die Ukraine Die Beschaffungsnöte der EU
Der Krieg in der Ukraine legt schonungslos offen, wie weit die EU von einer gemeinsamen Sicherheitspolitik entfernt ist. Besonders deutlich wird das bei Rüstungsprojekten. Sabrina Fritz über die Grenzen einiger Vorhaben.
Der Krieg in der Ukraine ist enorm materialintensiv. "Einerseits wird in Schützengräben wie im Ersten Weltkrieg gekämpft. Andererseits sind Drohnen und KI im Einsatz", sagt Burkhard Schmitt, der beim Verband der europäischen Luft- und Verteidigungsindustrie (ASD) in Brüssel für Sicherheit und Verteidigung zuständig ist. Zum hohen Bedarf an konventionellem Material kommt also noch jener an Hightech-Produkten hinzu.
Diese hohe Nachfrage trifft nun auf eine Rüstungsindustrie, die in Europa jahrzehntelang in einer Art Wachkoma gehalten wurde und jetzt möglichst schnell zum Leben erweckt werden soll. Geld ist eigentlich vorhanden, vielleicht noch nicht genug, aber immerhin doch die ziemlich große Summe von 380 Milliarden US-Dollar allein für dieses Jahr, wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stolz verkündete.
Gekauft wird vor allem außerhalb der EU
Bislang wurde das Geld aber vor allem im Ausland ausgegeben. "Fast 80 Prozent der Militärausgaben der vergangenen zwei Jahre gingen an amerikanische Firmen und Israel", so Schmitt: "Die höheren Budgets der vergangenen Jahre kamen überwiegend nicht der europäischen Industrie zugute."
Die Polen haben ihre Kampfpanzer in Südkorea bestellt, dort waren sie schnell verfügbar. Wer heute Waffen oder Panzer braucht, wird leichter in Ländern fündig, die gewohnt sind, mit einer Bedrohung zu leben - wie die USA, Israel oder eben Korea. Anders das friedliche Europa. Eine europäische Verteidigungspolitik gibt es jedenfalls nicht, man hielt sie bislang auch nicht für notwendig.
Die EU-Kommission darf gar keine Waffen kaufen. Für Verteidigung ist Thierry Breton zuständig, der EU-Kommissar kümmert sich aber gleichzeitig um Digitales, den Binnenmarkt und Dienstleistungen. Ein eigener Verteidigungskommissar ist jetzt im Gespräch.
Wohin geht das Geld?
Und dann geht es doch auch immer ums Geld. Ein Beispiel ist die sogenannte Friedensfazilität, ein 2021 aufgelegter, eigener Topf, aus dem Drittstaaten unterstützt werden sollen. Fünf Milliarden Euro hat die EU zusammengekratzt, die für Sicherheit in Europa in den nächsten Jahren verwendet werden können. Damit werden zum Beispiel Länder entschädigt, die Material an die Ukraine liefern.
Frankreich will damit eine "Buy-Europe-Klausel" verbinden, also die Verpflichtung, Rüstungsgüter in Europa zu kaufen. Deutschland streitet bei der Gestaltung der Friedensfazilität um die Höhe des Anteils und verlangt, dass die eigenen bilateralen Leistungen für die Ukraine berücksichtigt werden. All das dauert und Zeit ist im Krieg ein großer Faktor. Die Ukraine hat keine.
Und trotz des enormen Drucks dauern die Veränderungen: "Den Mentalitätswandel zu vollziehen braucht Zeit, das gilt für eine Behörde ebenso wie für die Industrie. Insofern gibt es einen Widerspruch zwischen dem, was man hört und dem, was dann tatsächlich passiert", sagt Schmitt.
Wenig Zeit für komplizierte Prozesse
Beschaffungsämter verwandeln sich nicht über Nacht in einen gut aufgestellten Online-Shop und auch Unternehmen brauchen Zeit. Für neue Anlagen etwa braucht es Genehmigungen, die Firmen müssen Leute einstellen und Material einkaufen und brauchen dazu vor allem eines: Verlässlichkeit, fordert der Rüstungsverband. "Die Rüstungsindustrie hat nur einen Kunden und das ist die öffentliche Hand. Wenn die nicht bestellt, wird nichts produziert."
Trotz der markigen Reden bei Konferenzen und Ministertreffen: Ganz so einfach ist die Aufrüstung eben doch nicht. Das Geld ist knapp, was sagt der Wähler, wie verlässlich sind die Amerikaner? Auch weiß kein Mensch, wie lange der Krieg in der Ukraine dauern wird und wie viele Rüstungsgüter man jetzt am besten bestellt.
Nationale Interessen bleiben
Und bei allem "Wir" gibt es doch auch ein großes "Ich" in Europa. Jedes Land hat eigene Interessen, die es an erste Stelle setzt. Die Osteuropäer, in deren Nachbarschaft der Krieg gegen die Ukraine tobt und die eine historisch belastete Beziehung zu Russland haben, wollen die Depots so schnell wie möglich füllen. Die Südeuropäer sind eher weiter vom Kriegsgeschehen entfernt.
Jedes Land entwickelt eigene Rüstungsvorhaben, unterstützt seine eigenen Firmen. Wirtschaftsminister Robert Habeck beklagte jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz einen "Protektionismus einzelner Länder für ihre Rüstungsindustrie". Die hohe Nachfrage treibt zudem die Preise.
Das Problem Munitionsbeschaffung
Eines der wenigen gemeinsamen Großprojekte ist die Bestellung von einer Million Artilleriegeschosse für die Ukraine. Im vergangenen März hatten sich die Verteidigungsminister vorgenommen, diese Menge innerhalb eines Jahres zur Verfügung zu stellen - Ende Januar musste die EU einräumen, dass sie das Ziel deutlich verfehlt.
Ausgeführt wird der Auftrag unter anderem von der EDA, der Europäischen Verteidigungsagentur in Brüssel. Etwas mehr als die Hälfte ist inzwischen beschafft, so der Vizechef der Agentur, André Denk: "Bis Ende dieses Jahres soll die eine Million erreicht werden, damit sind wir hinter dem Zeitplan. Allerdings, wenn man den Zeitplan realistisch betrachtet, auch deutlich besser, als es zu befürchten stand."
Für Denk ist die Mission damit aber noch nicht erfüllt. Man müsse jetzt weiter Geld in die Hand nehmen und weiter bestellen, sagt er. "Denn wenn ich heute Munition bestelle, ist sie in einem Jahr erst da."