Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit EU leitet Verfahren gegen Ungarn ein
Die EU macht ernst und leitet wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit ein Verfahren gegen Ungarn ein. Damit könnte die finanzielle Unterstützung Ungarns in Milliardenhöhe gekürzt werden.
Die EU-Kommission verschärft im jahrelangen Rechtsstaatsstreit die Gangart gegen Ungarn: Die Brüsseler Behörde hat den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus gegen die Regierung in Budapest aktiviert.
Ein entsprechendes Schreiben schickte die Kommission heute nach Budapest. Damit drohen Ungarn erstmals milliardenschwere EU-Mittelkürzungen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte den Schritt bereits Anfang April angekündigt, also kurz nach der Wiederwahl des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban. Die EU prangert vor allem Korruption in Ungarn an und den unrechtmäßigen Einsatz von EU-Geldern.
"Geld der Steuerzahler schützen"
Die Bundesregierung begrüßte den Schritt: "Rechtsstaatlichkeit ist das Fundament unseres europäischen Hauses", schrieb Europa-Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) auf Twitter. "Ungarn muss die bestehenden Defizite entschlossen und zügig beseitigen."
Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament nannten den Schritt überfällig: "Das Geld der Steuerzahler muss vor denen geschützt werden, die gegen den Rechtsstaat verstoßen und die Demokratie abbauen", schrieb die sozialdemokratische Fraktion auf Twitter.
EU pocht auf Demokratie und Grundrechte
Der sogenannte EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang 2021 in Kraft.Im vorangegangenen Jahr hatte die EU nochmals in einer neuen Verordnung festgeschrieben, was genau Rechtsstaatlichkeit genau bedeutet: Jedwede öffentliche Gewalt müsse "innerhalb des geltenden Rechts im Einklang mit den Werten der Demokratie und der Achtung der EU-Grundrechte unter der Kontrolle unabhängiger und unparteiischer Gerichte" stehen.
Bei der Kritik an möglichen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit standen seit Längerem Ungarn und auch Polen im Fokus. Polen wurde vorgeworfen, die Gewaltenteilung im eigenen Land und eine unabhängige Justiz durch die sogenannte Justizreform zu untergraben.
EuGH weist Klagen zurück
Um ein Vorgehen der EU zu unterbinden, hatten beide Länder beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen den Rechtsstaatsmechanismus eingereicht - jedoch ohne Erfolg. Das Gericht wies die Klagen ab und legitimierte mit seinem Urteil vom Februar dieses Jahres die Option, betroffenen EU-Mitgliedern finanzielle Mittel zu kürzen.
Mehrheit im EU-Parlament erforderlich
Doch bis Ungarn tatsächlich Milliarden Euro gestrichen werden könnten, wird es noch dauern. Nachdem die EU-Kommission das Verfahren in Gang gesetzt hat, muss nun der Rat der EU, also die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, mit Mehrheitsbeschluss und Unterstützung des EU-Parlaments entscheiden, ob und wie viele Haushaltsmittel gekürzt oder zurückgehalten werden sollen.
Mindestens 15 Länder mit mindestens 65 Prozent der in der EU lebenden Bevölkerung müssen sich dafür aussprechen. Ungarn ist bei dem Votum als betroffener Staat nicht abstimmungsberechtigt. Zuvor hat Ungarn jedoch die Möglichkeit, zu den Kritikpunkten Stellung zu beziehen und Maßnahmen vorzuschlagen, um die aus Sicht der EU bestehenden Missstände zu beseitigen.