Europäischer Gerichtshof EuGH stärkt den Schutz von Wölfen
Der Europäische Gerichtshof hat Grundsätze für den Abschuss von Wölfen festgelegt. Demnach dürfen die Tiere nur im absoluten Ausnahmefall abgeschossen werden, wirtschaftliche Gründe allein reichen dafür nicht immer aus.
Schafe prägen seit Langem die Landschaften der Rhön, des Mittelgebirges zwischen Bayern, Hessen und Thüringen. Julian Schulz ist dort Schäfermeister. Seine Herde hat über 1.000 Tiere. Doch in den idyllischen Weidelandschaften der fränkischen Rhön ist es seit einigen Jahren gefährlicher geworden für seine Schützlinge. 20 seiner Tiere wurden bereits von Wölfen gerissen.
Julian Schulz musste immer wieder Maßnahmen ergreifen, um seine Herde zu schützen. "Wir hatten vorher schon höhere Zäune, haben Live-Kameras, haben uns jetzt noch mal Herdenschutzhunde angeschafft. Wir haben aber trotzdem das Problem, dass die Wölfe täglich da sind. Ich sehe sie auf den Live-Kameras. Und diese Maßnahmen jetzt noch mal erhöhen? Also irgendwo sind Grenzen."
Zu aufwendig und kostenintensiv sei der Herdenschutz inzwischen für ihn, findet der Schäfermeister. Einerseits finde er es gut, wenn sich Menschen für den Schutz von Wölfen engagieren.
Aber andererseits seien die derzeitigen Regelungen in seinen Augen "falscher" Naturschutz. "Meine Schafe werden bei lebendigem Leib aufgefressen. Wo ist da der Naturschutz?"
Wolf aus Österreich als Anlass für das Urteil
Der Wolf ist nach EU-Recht eine streng geschützte Art. Weil es in der Europäischen Union aber immer mehr Wölfe gibt, stellt sich seit einigen Jahren vermehrt die Frage: Wie weit soll der Schutz von Wölfen gehen, wenn diese zu viele Schafe reißen und generell mit der Nutztierhaltung in Konflikte kommen?
Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zum Wolfsschutz geurteilt. Konkret ging es um einen Wolf aus Österreich. Der hat in Tirol eine erhebliche Zahl von Schafen gerissen. Die Tiroler Landesregierung hatte daraufhin den Abschuss des Wolfes genehmigt.
Dagegen klagten Tierschutz- und Umweltorganisationen. Das zuständige Tiroler Gericht legte dann grundsätzliche Fragen zum Wolfsschutz dem EuGH in Luxemburg vor.
Das Gericht bestätigt nun, dass Wölfe in der EU streng geschützt sind. Demnach sagt der EuGH, dass das in Österreich geltende Wolfsjagdverbot beachtet werden muss. Darüber hinaus stellt er Grundsätze auf, die für die ganze EU, auch für Deutschland, wichtig sind.
EuGH stärkt den strengen Wolfsschutz
Erstens: Mittelbare wirtschaftliche Schäden für die Nutztierhalter rechtfertigen keinen Wolfsabschuss - wenn nicht ganz klar ist, welcher Wolf Tiere gerissen hat. Zweitens: Der Abschuss von Wölfen muss die absolute Ausnahme bleiben. Erst mal müssen alle Schutzmaßnahmen für Schafe und andere Nutztiere ausgeschöpft werden, wie Zäune und Schutzhunde.
Und drittens: Hohe Kosten für den Herdenschutz allein rechtfertigen keinen Abschuss. Bevor Wölfe getötet werden, sei es vorrangig, dass die EU-Staaten den Züchtern und Tierhaltern Geld zur Verfügung stellen, um deren Herden zu schützen.
Dahinter stehe der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der aus der EuGH-Rechtsprechung bekannt sei, sagt Thomas Norgal, stellvertretender Landesgeschäftsführer des BUND Hessen und Leiter der Arbeitsgruppe Wolf und Weidetiere im BUND-Bundesverband. Zwar müsse es immer eine Abwägung geben zwischen den Kosten für den Herdenschutz und dem strengen Schutz des Wolfes nach EU-Recht. Tierhalter dürften aber nicht einfach sagen, "der Zaun ist mir zu teuer und das mache ich nicht."
Der EuGH sagt in seinem Urteil klar: Schutzmaßnahmen dürfen nicht einfach verworfen und Abschüsse schnell erlaubt werden, "weil die wirtschaftlichen Kosten ihrer Durchführung besonders hoch" sind. Im Hinblick auf die Kosten von Schutzmaßnahmen seien die EU-Staaten in der Verantwortung. Sie müssten im Zweifel Gelder für den Herdenschutz zur Verfügung stellen, um die Naturschutzziele und den strengen Wolfsschutz umzusetzen.
Thomas Norgal vom BUND hofft, dass mit dem EuGH-Urteil die Diskussion um den Wolf wieder sachlicher wird. "Der Populismus beim Wolf reicht bis weit in die Politik hinein." Dies müsse wieder aufhören.
Folgen des Urteils für Deutschland
Insgesamt gibt es derzeit etwa 1.300 Wölfe in Deutschland. 2022 wurden 4.300 Nutztiere verletzt oder getötet, davon 3.800 Schafe. Die Umweltminister von Bund und Ländern hatten sich Ende letzten Jahres darauf geeinigt, das Naturschutzrecht zum Wolf neu auszulegen.
So sollen Abschüsse in Gebieten, in denen häufiger Wolfsrisse vorkommen, jetzt einfacher möglich sein. Schon wenn ein Wolf zum ersten Mal Zäune überwindet und Schafe reißt, sollen in einem gewissen Zeitraum in dem betroffenen Gebiet Wölfe getötet werden können, auch ohne DNA-Test.
Ob diese Praxis in Deutschland mit der Grundsatzentscheidung des EuGH vereinbar ist, muss jetzt geprüft werden. Denn der EuGH betont ausdrücklich den Vorrang von Schutzmaßnahmen vor Abschüssen, auch wenn sie hohe Kosten verursachen. Und er sagt: Ernste wirtschaftliche Schäden rechtfertigen einen Abschuss nur, wenn klar ist, welches Wolfsexemplar Tiere gerissen hat.
Aktenzeichen C-601/22