Wasserbelastung in Cherson "All das wird die Küsten Europas erreichen"
18 Milliarden Kubikmeter Wasser hielt der Kachowka-Staudamm in der Ukraine - bis er zerstört wurde. Treibstoffe und Schmiermittel gelangten in die Flüsse.
Rund eineinhalb Monate nach der offensichtlich mutwilligen Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist rund 80 Kilometer flussabwärts das Wasser des Dnipro in Cherson und Umgebung abgeflossen. Noch läuft die ökologische Bestandsaufnahme, doch für Wolodymyr Polchovksyi haben sich die ersten Befürchtungen zumindest bisher nicht bestätigt, ein Massensterben der Fische ist in seinem Bereich ausgeblieben. In einigen Nebenflüssen des Dnipro sei der Wasserstand zwar leicht gesunken, doch bisher nicht kritisch für den Bestand.
Der Fischinspektor ist Anfang 30 und arbeitet für die Region Cherson. Er kontrolliert sogenannte aquatische Bioressourcen, also den Bestand von Hechten, Karpfen, Schleien oder Flusskrebsen in der wasserreichen Gegend am Schwarzen Meer.
Angeln und Fischerverkauf hat die regionale Militärverwaltung von Cherson nach wie vor verboten, da Schadstoffe und ungeklärtes Wasser in die Flüsse und Seen geraten ist. Der Verzehr der Fische könnte die Gesundheit von Menschen gefährden. Deswegen sind der Fischinspektor und seine Teams auch auf der Jagd nach illegalen Anglern und Wilderen.
Ein Massensterben von Fischen ist bislang ausgeblieben, dennoch ist Fischinspektor Wolodymyr Polchovksyi besorgt.
Überflutete Mülldeponie
Fischinspektor Polchovskyi steht am Ufer des kleinen Koschewa-Flusses in Cherson und erzählt von seiner Arbeit, als ihn laute Artillerie jäh unterbricht. Der russische Dauerbeschuss der Region hat nicht aufgehört. "Bei uns ist es immer laut", fährt er ungerührt fort, während sowohl ukrainische als auch russische Artillerie zu hören sind.
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Anfang Juni hat der mächtige Dnipro die Fluss- und seenreiche Gegend unkontrolliert überflutet. Auch die Ortschaft Beloserka war stark überschwemmt, erzählt der Inspektor und zeigt ans gegenüberliegende Ufer in die Richtung des Ortes. Eine Mülldeponie in der Gegend sei damals völlig überflutet worden. Genau wie die Kläranlagen, die das Wasser aus Entwässerungsgruben normalerweise reinigen würden. Als das Wasser allmählich sank, sei alles in den Dnipro geflossen. "Den Müll sieht man nicht, alles ist schon im Fluss", konstatiert er nüchtern.
Sorge um ökologisches Gleichgewicht
Das lebensgefährliche Hochwasser am 6. Juni dieses Jahres hatte auch Polchovskyj aus dem Schlaf gerissen. Er übernachtete in seiner Datscha am Fluss und half bei den ersten Evakuierungen panischer Menschen. Gleichzeitig fürchtete er um das hochsensible ökologische Gleichgewicht in seiner Region. "Gelangen stickstoff- und ammoniakhaltige Düngemittel auch nur in geringer Menge ins Wasser, führt das zum Absterben der aquatischen Bioressourcen."
Zu einem Fischsterben ist es in der Region Cherson laut seinen Beobachtungen bisher nicht gekommen. Zwar hätten einige Nebenflüsse des Dnipro weniger Wasser, doch kritisch sei das nicht, so der Inspektor.
Ein Mitarbeiter der Wasserwerke Cherson repariert marode Rohre.
Verwüstete Felder und Millionenverluste für Landwirte
Wadim Scheremet zieht eine andere Bilanz. Grimmig geht er über seine verwüsteten Felder in Pavlo-Maryniwka im Gebiet Mykolajiw. Die Folgen der katastrophalen Überschwemmung sind für den Landwirt noch ein weiteres von vielen Problemen, die er hat. Denn auch verminte Felder, Preiseinbrüche und Exportprobleme für sein Getreide belasten ihn. "Wir haben von dieser Ernte keinen Ertrag, wir müssen säen und auf die nächste Ernte warten", sagt Scheremet. "Wir verlieren Millionen. Die Landwirte in der Ukraine verlieren Millionen US-Dollar."
Pavlo-Maryniwka liegt am Inhulets, ein Nebenfluss des Dnipro. Dieser überschwemmte Anfang Juni nicht nur fruchtbare Getreide-, Gemüse- oder Erdbeerfelder entlang seines Laufs, sondern auch Pflanzen und Tiere in jahrzehntealten Naturschutzgebieten in der Region, sagt Fischinspektor Polchovskyi.
Zugleich geht der Krieg weiter. In Cherson ist der Dnipro auch die Frontlinie, seit der Rückeroberung im November wurde die Stadt mehr als 4000 Mal von russischer Seite aus beschossen. Nach Angaben der regionalen Militärverwaltung wurden mehr als 370 Menschen verletzt und mindestens 135 kamen ums Leben. Sie standen an Bushaltestellen, waren auf dem Markt einkaufen oder wurden bei der Evakuierung aus dem lebensgefährlichen Hochwasser beschossen.
Das wird die Küsten Europas erreichen
Als Cherson befreit wurde und die russischen Truppen abzogen, wurden die Gebiete des Seehafens, des Flusshafens und Teile der Werft, wo sich die Flotte und große Dampfschiffe befanden, gesprengt und überflutet, so der Fischinspektor.
Treibstoffe und Schmiermittel seien in den Fluss geflossen und es sei nach wie vor sehr schwierig, das Ausmaß der ökologischen Schäden zu ermessen. Doch für ihn steht fest: "Es betrifft nicht nur die Ukraine und die Region Cherson. All das wird die Küsten Europas erreichen."
Polchovskyi lässt seinen Blick entlang des Ufers des Flusses Koschwa bei Cherson schweifen. Gegenüber gab es am Morgen Beschuss von russischer Seite, sagt der Fischinspektor. Wie jeder Mensch in dieser Gegend lebt er gefährlich und wird doch seine Arbeit weitermachen - wie bisher.