Frankreichs Nationalversammlung "Müssen eine neue Arbeitsweise finden"
Heute tritt erstmals die neu gewählte französische Nationalversammlung zusammen. Bis Ende der Woche ein Regierungsbildungs-Fahrplan stehen. Doch viele neue Abgeordnete müssen ihren Platz erst finden - und kommen parteipolitisch kaum zusammen.
Die Stimmung unter den frisch gewählten Abgeordneten des extrem rechten Rassemblement National ist aufgekratzt. Wenige Tage vor der heutigen ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode haben sie mit einem Klassenfoto im prächtigen Innenhof der Nationalversammlung ihren triumphalen Einzug ins Parlament gefeiert - danach erster Nahkontakt mit dem hemicycle, dem Halbkreis, wie das Parlament erfurchtsvoll genannt wird. Seit knapp 40 Jahren waren die Rechtsnationalen hier nicht mehr in Fraktionsstärke vertreten.
Philippe Lottiaux hat den Wahlkreis um Saint-Tropez gegen eine Kandidatin der Präsidentenmehrheit gewonnen. Er ist einer der vielen Neulinge unter den 89 Abgeordneten des Rassemblement National. Die Partei hat die Anzahl ihrer Sitze mehr als verzehnfacht. Begeistert inspiziert Lottiaux den Inhalt seines Willkommensgeschenks, das er an diesem administrativen Einweisungstag erhalten hat: eine hochwertige Leder-Aktentasche aus französischer Herstellung. "Da ist eine Art Parlamentsführer drin und hier in dieser Schachtel der berühmte Abgeordnetenschal in den Tricolore-Farben. Ich muss noch sehen, wie rum ich den trage, aber da gibt es eine Anleitung", sagt er. "Dann die Plakette fürs Auto. Fühlt sich fast an wie Weihnachten!"
Mit Gelegenheitsmehrheiten arbeiten?
Hinter Lottiaux huscht Gerald Darmanin vorbei. Der sendungsbewusste Innenminister und Vertraute von Emmanuel Macron hat an diesem Tag keine Lust auf Journalistenplausch. Zu jammervoll und verunsichert istdie Stimmung im Präsidenten-Lager nach dem Verlust der absoluten Mehrheit. Die in drei starke Blöcke zerfallene Nationalversammlung - eine Art parlamentarischer Unfall der so präsidial ausgerichteten Fünften Republik.
"Diese neue Nationalversammlung wird natürlich anders funktionieren als vorher", erklärt Arthur Delaporte. Der 30-jährige Sozialist aus dem Calvados hat seinen Sitz für das Linksbündnis NUPES gewonnen. Zielsicher steuert der Parlamentsnewcomer die hungrigen Mikrofone der Journalisten an. "Ich bin genau für diese Parlamentarisierung unseres Systems. Wir müssen eine neue Arbeitsweise finden", sagt er. "Da können wir uns auch am deutschen Modell orientieren. Aber ich lehne es absolut ab, Gelegenheitsmehrheiten mit den extrem Rechten zu bilden."
Macrons "schrecklich banale" Lage
Laure Lavalette vom Rassemblement National findet das borniert. "Unser einziger Kompass ist das Interesse Frankreichs und der Franzosen", sagt sie. "Wenn ein Gesetz in die richtige Richtung geht, sind wir nicht dogmatisch."
Beim Thema Immigration werde es allerdings hoch hergehen, das sieht Lavalette kommen - und bezieht noch einmal Position: "Wir sind gegen den Familiennachzug, für eine Bevorteilung der Franzosen bei Arbeitsplatz- und Wohnungsvergabe. Marine Le Pen will den Franzosen ihr Land zurückgeben und ihr Geld."
Während sich an diesem Tag also die Wege von links und rechts in den Fluren der Nationalversammlung kreuzen, bleiben die Fronten verhärtet. Präsident Emmanuel Macron setzt derweil auf die Lernfähigkeit des Systems und hofft trotz allem, konstruktive Mehrheiten zimmern zu können. Seine Lage nannte er mit Verweis auf die deutsche Tugend der Koalitions- und Kompromissbildung "schrecklich banal".