Parlamentswahl in Frankreich Gereizte Stimmung, kaum Koalitionsoptionen
Vor der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich ist die Ausgangslage schwierig: Die politische Landschaft ist polarisiert, der Wahlkampf aggressiv - und es gibt kaum Optionen für eine stabile Regierungskoalition.
Prisca Thevenot, aktuell Regierungssprecherin, war hörbar erschüttert. Bei einem Besuch in ihrem Wahlkreis wurden sie und ihr Team körperlich angegriffen. Rassistische Beleidigungen sei sie gewohnt, sagte die Abgeordnete der Präsidentenpartei Renaissance, deren Eltern aus Mauritius stammen. Aber geschlagen zu werden, das sei neu, sagte sie Mitte der Woche.
Mehrere Angriffe auf Politiker
"Meine Gedanken sind bei meinen Mitstreitern, die noch im Krankenhaus sind. Aber auch wenn wir schockiert sind, gilt es jetzt, den Wahlkampf entschlossen weiterzuführen, weil uns am Sonntag ein großer demokratischer Moment erwartet."
Angriffe gab es unter anderem auch auf einen ehemaligen Minister der Macron-Partei und eine Kandidatin des rechtsradikalen Rassemblement National (RN). Premierminister Gabriel Attal versuchte, die Wogen zu glätten. "Die Spannungen im Land sind offensichtlich, und es gibt Leute, die weiter Öl ins Feuer gießen. Ich bin dagegen immer auf der Seite derer, die sich für Entspannung einsetzen."
Rechte hoffen auf Regierungsmehrheit
Zum ersten Mal könnte der Rassemblement National stärkste Kraft in der Nationalversammlung werden - und die Regierung übernehmen. Jordan Bardella, Spitzenkandidat der Partei, wettert gegen das Lager des Präsidenten. "Sieben Jahre mussten Sie jetzt die Politik von Emmanuel Macron ertragen. Am Sonntag bekommen Sie die Möglichkeit, Leute an die Spitze dieses Landes zu setzen, die Sie respektieren, die Sie ernst nehmen, und die Frankreich lieben genauso wie Sie."
Das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag hat die französische Politik tief aufgewühlt. Ein Drittel der Stimmen hat der Rassemblement National im ersten Wahlgang erreicht. Die gemäßigten Kräfte versuchen nun, den möglichen Wahlerfolg der Partei in der zweiten Runde einzugrenzen.
Macron-Abneigung gegen linke Partei
Wegen der hohen Wahlbeteiligung kamen in ungewöhnlich vielen Stimmbezirken drei und mehr Kandidaten in die zweite Wahlrunde. Um die Chancen gegen rechts zu verbessern, haben rund 220 Kandidatinnen und Kandidaten des linken Wahlbündnisses Nouveau Front Populaire und des Lagers um Präsident Macron auf die Stichwahl verzichtet. Dadurch gibt es jetzt viel mehr Duelle zwischen dem rechtsradikalen Rassemblement National und dem sozialistischen, grünen oder liberalen Lager.
Allerdings sehen viele Macron-Anhänger in der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI) um Jean-Luc Mélanchon nach wie vor den Hauptfeind. Finanzminister Bruno Le Maire erklärte etwa: "La France Insoumise vertritt Positionen, die gegen die französische Nation sind, weil die Partei für Parallelgesellschaften steht, für Antisemitismus, für Gewaltanwendung."
Schwieriger Koalitionspoker
Eine große Partei wie LFI als Partner auszuschließen, erhöht aber nicht gerade die Chancen für eine Mehrheitskoalition in der Nationalversammlung - als Alternative zu einer möglichen rechten Regierung unter Führung von Bardella.
Die stehe schon in den Startlöchern, sagt der erst 28-jährige Frontmann des RN. "In die Regierung sollen auch Mitglieder der Republikanischen Partei und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einziehen." Bardella will aber nur dann Regierungschef werden, wenn seine Partei am Sonntag die absolute Mehrheit holt. Alleine wird ihm das laut mehrerer Prognosen nicht gelingen.
Grüne wollen RN-Sieg verhindern
Gleichzeitig gibt es wilde Spekulationen, wie eine Koalition gegen den Rassemblement National aussehen und welche Partei deren Führung übernehmen könnte. Als Architektin des linken Wahlbündnisses hatte sich Marine Tondelier hervorgetan, Chefin der Écologistes, der französischen Grünen.
Bei Fragen zu den Details bleibt sie jedoch ausweichend. "In einer Ausnahmesituation braucht es außergewöhnliche Maßnahmen. Ich habe noch keinen genauen Plan, weil ich gerade jede Minute darauf verwende, zu verhindern, dass Jordan Bardella ins Matignon (den Amtssitz des Ministerpräsidenten) einzieht."
Regieren wird für Macron schwierig
Klar ist: Eine so schwierige Ausgangslage gab es selten seit Bestehen der fünften französischen Republik, also seit 1958. Diese werde jedoch auch diese dramatische Wahl überdauern, ist Jean-Philippe Derosier überzeugt, Verfassungsrechtler an der Universität Lille: "Die Verfassung der fünften Republik hat eine lange Geschichte hinter sich. Sie hat sich immer gegenüber menschlichem Handeln behauptet und hat zahlreiche Krisen überstanden."
Das Präsidentenlager wird jedenfalls geschwächt aus der Wahl hervorgehen. Emmanuel Macron muss sich für den Rest seiner Amtszeit, die 2027 endet, auf eine bunt zusammengewürftelte Koalition stützen. Oder er muss mit einer extrem rechten Regierung klarkommen. Eine Kohabitation, wie das in Frankreich heißt, gab es zwar schon in der Vergangenheit. Aber so noch nie.