Der Union Jack spiegelt sich in einer Pfütze

Fünf Jahre Brexit Unzufriedenheit in allen Lagern

Stand: 31.01.2025 04:45 Uhr

Heute vor fünf Jahren verließ das Vereinigte Königreich die EU. Seitdem ist es ruhiger geworden um das Thema. Doch kaum ein Brite sieht den Brexit als Erfolg - aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Der Frühstücksspeck zischt auf dem Grill von Imbissbesitzer Dave Brent. Seit mehr als 15 Jahren verkauft er seine Bacon-Burger in der Markthalle der englischen Kleinstadt Melton Mowbray.

Beim Referendum stimmte Brent für den Brexit, so wie die meisten Bewohner der 26.000-Einwohnerstadt in der Nähe von Nottingham. Das würde er wieder tun - aber er hatte sich mehr erhofft. "Die Einwanderung ist außer Kontrolle. Dabei sind wir doch jetzt Herr über unsere eigenen Grenzen."

Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sehen nur elf Prozent der Briten den Brexit eher als Erfolg. Doch die Umfrage zeigt auch: Zwei Drittel der Brexit-Wähler von damals finden es immer noch richtig, dass das Land die EU verlassen hat. Auch wenn viele sich mehr versprochen haben.

Dave Brent steht am Grill und bereitet Burger zu.

Dave Brent hatte sich mehr vom Brexit erhofft. "Die Einwanderung ist außer Kontrolle. Dabei sind wir doch jetzt Herr über unsere eigenen Grenzen", meint er.

Vier Prozent weniger Wachstum

Neben der Markthalle beginnt die allwöchentliche Schafauktion. Für ihre Schafe erzielen die Bauern dank der international hohen Nachfrage gerade Rekordpreise. Auch die meisten Bauern aus Melton und Umgebung waren und sind für den Brexit. "Es ist eigentlich alles gut gelaufen - nur die Subventionen fehlen natürlich", sagt Landwirt Ken Kitchen.

Fast alle hier sagen: Dass sie und das gesamte Land in einer schwierigen Lage seien, liege nicht am Brexit, sondern an der Labour-Regierung, die seit dem Sommer im Amt ist.

Insgesamt leidet das Vereinigte Königreich weiter an Wachstumsschwäche. Der Brexit, den die konservative Regierung 2020 unter Boris Johnson vollgezogen hat, trifft die britische Wirtschaft zusätzlich. Das Office for Budget Responsibility (OBR), das die Staatsfinanzen überwacht und analysiert, rechnet auf mittlere Sicht mit vier Prozent weniger Wachstum durch den Brexit.

Menschen betrachten Schafe in Gattern  in Melton Mowbray.

Die meisten Bauern aus Melton und Umgebung waren und sind für den Brexit.

Handel mit der EU aufgegeben

Immerhin: Der so wichtigen Dienstleistungsbranche, insbesondere rund um die Finanzbranche, hat der Brexit offenbar kaum geschadet.

Schlechter sieht es beim Handel aus. Langfristig sei laut OBR mit 15 Prozent weniger Handelsvolumen zu rechnen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen haben den Handel mit der EU aufgegeben.

Auch Combie Cryan, der 2018 eine kleine Brauerei in Melton mitgegründet hat, würde seine Biere gern wieder nach Italien, Frankreich oder Spanien verkaufen. Doch das sei einfach zu aufwendig und teuer. Er sagt: "Als Unternehmer suche ich mir andere Märkte. Vor allem bricht mir das Herz, dass meine Kinder eines Tages nicht mehr überall in Europa leben können."

Combie Cryan zapft Bier aus einem Hahn.

Für Brauer Combie Cryan lohnt es sich nicht mehr, sein Bier in die EU zu verkaufen. Es sei zu aufwendig und teuer.

"Rechtspopulistische und rassistische Äußerungen wurden normalisiert"

Den Abend lassen viele Meltoner in der Kneipe ausklingen. Im Crown Pub sitzt ein Grüppchen von Mitgliedern der eher kleinen Liberaldemokratischen Partei. Einer von ihnen ist der Arzt Hamish McAuley. "Die meisten negativen Brexit-Folgen sind den Menschen gar nicht aufgefallen, oder sie glauben, es lag eben an der Pandemie. Die kam ja gleich danach", sagt er.

Die LibDems werben als einzige Partei derzeit für einen Wiedereintritt in die EU. Labour-Premier Keir Starmer sucht zwar die Annäherung an die EU, aber den Brexit an sich stellt die Regierung nicht infrage - wohl auch aus Furcht vor der vergifteten Debatte von damals. McAuley kann das sogar verstehen: "Jede Art der Annäherung an die EU wird Labour vom Brexit-Lager ja jetzt schon als Verrat ausgelegt."

Neben ihm sitzt Jane Eason. Auch sie hat Freunde über Brexit-Streitereien verloren, erzählt sie. Eine Kontaktaufnahme sei zwecklos. "Die würden sowieso nie zugeben, dass es ein Fehler war und dass sie den Lügen mancher Politiker auf den Leim gegangen sind." McAuley nickt und sagt:

Die Brexit-Debatte hat langfristig Grenzen verschoben. Rechtspopulistische und rassistische Äußerungen wurden normalisiert. Das beeinflusst unsere ganze Politik bis heute.

Rechtspopulisten erstmals vor Labour und Konservativen

In der Tat liegt in landesweiten Umfragen derzeit die Partei Reform UK des Rechtspopulisten und Brexit-Wortführers Nigel Farage erstmals vor der sozialdemokratischen Labour Party und den konservativen Tories.

Der Brexit sei gescheitert, niemand sei enttäuschter als er, wettert Farage gern und verweist dann vor allem auf die seit dem EU-Austritt in der Tat gestiegenen Einwanderungszahlen aus Ländern außerhalb der EU - die das Land dringend braucht. Bei der Parlamentswahl im Sommer hat Farage es das erste Mal ins britische Parlament geschafft und mit ihm eine Handvoll weiterer Reform-Abgeordneter.

Auch da Reform der Regierung im Nacken sitzt, muss Labour weiter den Spagat versuchen: mit einer Annäherung an die EU für mehr Wachstum - doch ohne dabei die Brexit-Debatte wieder vollständig zu entfachen. Auch in Melton Mowbray haben die Brexit-Gegner deshalb verstanden: Sie sind raus aus der EU, und das wird auf absehbare Zeit so bleiben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 31. Januar 2025 um 07:50 Uhr.