Nach russischem Ausstieg Getreideabkommen ausgelaufen
Das russische Nein zur Verlängerung hatte international für Empörung gesorgt - nun ist das Getreideabkommen ausgelaufen. Die Ukraine kündigte eine Fortsetzung der Lieferungen übers Schwarze Meer an - auch ohne Sicherheitsgarantien.
Zwei Mal wurde er verlängert, jetzt sagt Russland Nein zu einer Fortsetzung des Getreidedeals. Vor knapp einem Jahr war das Abkommen unter Vermittlung der UN in Istanbul ausgehandelt worden. Es stellte sicher, dass Agrargüter sicher über das Schwarze Meer verschifft werden konnten, um so die weltweite Versorgung mit Getreide zu gewährleisten.
Am Morgen erteilte der Kreml einer weiteren Verlängerung des Deals eine Absage. Die Ukraine will aber auch ohne Sicherheitsgarantien weiter liefern. "Wir haben keine Angst", sagte Präsident Selenskyj.
Schiffseigner seien bereit, ukrainische Häfen für Getreidelieferungen anzulaufen. Das Abkommen zwischen der Ukraine, der Türkei und den Vereinten Nationen sei auch ohne Moskau weiter in Kraft. Lediglich das davon getrennte zwischen Russland, der Türkei und den UN sei aufgekündigt worden. Wie die Schiffe und deren Güter in dem Kriegsgebiet versichert werden sollen, sagte Selenskyj nicht. Er habe bezüglich einer solchen Fortführung der Ausfuhren Briefe an UN-Generalsekretär Guterres und den türkischen Präsidenten Erdogan geschrieben, so Selenskyj.
Erdogan kündigt Gespräche mit Putin an
Letzterer gab sich trotz der Äußerungen des Kremls optimistisch hinsichtlich einer Verlängerung. "Ich glaube, dass mein Freund Putin das Abkommen trotz der heutigen Erklärung fortsetzen will", sagte Erdogan.
Eine Verlängerung des Abkommens könne noch vor dem für August geplanten Besuch des russischen Präsidenten in der Türkei möglich sein, sagte er weiter. Verhandlungen diesbezüglich seien bereits im Gange. So wollte etwa sein Außenminister noch am Montag mit seinem russischen Kollegen sprechen.
Russland sieht Zusagen nicht erfüllt
Am Morgen hatte der Kreml das Getreideabkommen "de facto" für beendet erklärt. Die Russland betreffenden Teile des Abkommens seien nicht erfüllt worden, sagte der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow in Moskau. Man werde es aber wieder in Kraft setzen, sobald die russischen Bedingungen erfüllt seien. Im Kern geht es dabei um westliche Sanktionen, die aus russischer Sicht verhindern, dass Zahlungen für russische Agrarexporte abgewickelt werden können. Moskau hatte bereits seit mehreren Wochen damit gedroht, das Abkommen auslaufen zu lassen.
Tausende Tonnen Getreide aus der Ukraine
Bislang wurden im Rahmen der Initiative laut den UN mehr als 32 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Waren aus der Ukraine in 45 Länder exportiert. Mehr als 1000 Schiffe hätten ukrainische Häfen verlassen. In den vergangenen Monaten ging die exportierte Menge an Agrargütern zurück. Die Ukraine warf Russland vor, die vereinbarten Inspektionen zu verzögern.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO betonte, dass die Initiative die Weltmarktpreise für Lebensmittel senke und zum Kampf gegen den Hunger beitrage. Auch das UN-Welternährungsprogramm WFP konnte mithilfe des Abkommens 725.000 Tonnen Weizen in Krisenländer wie Afghanistan oder Somalia bringen. Die Initiative hatte zudem eine politische Dimension: Sie galt als die einzige längerfristige Übereinkunft zwischen den Kriegsparteien Russland und Ukraine.
Forderungen nach Fortsetzung des Abkommens
Die Europäische Union verurteilte die russische Aufkündigung des Abkommens. "Mit dieser Entscheidung verschärft Russland die weltweite Krise der Ernährungssicherheit weiter, die es durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Blockade der ukrainischen Seehäfen verursacht hat", erklärte der Außenbeauftragte Josep Borrell am Abend im Namen der Mitgliedstaaten. Russland müsse die illegale Blockade der ukrainischen Häfen aufgeben und die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer ermöglichen.
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangte, das Getreideabkommen sofort wieder in Kraft zu setzen. An den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtet forderte sie bei einem Besuch in New York "im Sinne des Friedens in der Welt", Hunger nicht als Waffe einzusetzen. Der Ausstieg aus dem Abkommen mache deutlich, dass Putin weltweit auf die Schwächsten keine Rücksicht nehme. Baerbock plädierte dafür, weiter an anderen Lieferrouten zu arbeiten, unabhängig vom Seeweg, "gerade über die Europäische Union", damit "das Getreide in die Welt kommt".
Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande eines EU-Treffens im Brüssel. Dass Russland den Getreidedeal nicht verlängern wolle, sei "eine schlechte Botschaft". "Und für ein Land, das mit einer solchen Aggression sein Nachbarland überfallen hat, ist das auch eine schlechte Botschaft an die übrige Welt", erklärte Scholz weiter.
UN-Chef: "Rettungsleine für globale Ernährungssicherheit"
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich tief enttäuscht. Das Abkommen sei eine "Rettungsleine für die globale Ernährungssicherheit und ein Leuchtturm der Hoffnung in einer aufgewühlten Welt" gewesen, sagte Guterres vor Journalisten in New York. "Man hat die Wahl, an solchen Abkommen teilzunehmen. Aber leidende Menschen überall und Entwicklungsländer haben keine Wahl."
Guterres hatte Putin in der vergangenen Woche noch einen Brief mit Vorschlägen geschrieben, um das Abkommen zu retten. "Ich bin zutiefst enttäuscht, dass meine Vorschläge unbeachtet blieben", sagte er dazu. Trotzdem würden sich die Vereinten Nationen weiter in dieser Hinsicht einsetzen, sagte Guterres weiter. "Unser Ziel muss es bleiben, die Ernährungssicherheit und die globale Preisstabilität voranzutreiben."
US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Aufkündigung des internationalen Getreideabkommens durch Russland als "skrupellos". Dies werde dazu führen, dass Lebensmittel an Orten, an denen sie dringend benötigt werden, schwerer zu bekommen sein und teurer würden, sagte Blinken in Washington. "Das darf nicht passieren." Schon jetzt reagiere der Markt. Russland müsse die Entscheidung wieder rückgängig machen.
Engpässe in arabischen Ländern, Afrika und Asien erwartet
Die Auswirkungen des geplatzten Deals sind derzeit noch nicht absehbar. Befürchtet werden aber steigende Preise und Versorgungsengpässe.
Der Deutsche Bauernverband sieht nach dem vorläufigen Stopp des Abkommens für ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer vorerst keine Engpässe auf dem deutschen und europäischen Markt. Der stellvertretende Generalsekretär Udo Hemmerling sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Sollte es eine längere Unterbrechung der Schwarzmeerroute für Getreide, Ölsaaten und Düngemittel geben, könnte es erneut zu Versorgungsengpässen und Preissteigerungen im globalen Agrarhandel kommen." Das gehe vor allem zu Lasten von Importeuren von Brotgetreide in arabischen Ländern, Afrika und Asien. "In Mitteleuropa ist hingegen nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen, da hier die eigene Ernte zur Verfügung steht."
Abkommen kam im Juli 2022 zustande
Russland hatte nach Beginn seines Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 die Seeausfuhren des Nachbarlandes blockiert. Im Juli 2022 einigten sich die Ukraine, Russland und die Türkei als Parteien in Istanbul auf die Schwarzmeer-Getreide-Initiative. Die UN traten als Vermittler auf. Die Vereinbarung wurde mehrmals verlängert. Eine zweite Vereinbarung kam in Istanbul zwischen den Vereinten Nationen und Russland zustande.
In einem „Memorandum of Understanding“ willigten die UN ein, sich für die ungehinderte Ausfuhr russischer Lebensmittel und Düngemittel auf die Weltmärkte einzusetzen. Russland beklagte immer wieder die mangelnde Umsetzung des Memorandums. Die Regierung Putin verlangte etwa, dass Russlands Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Zahlungssystem SWIFT angeschlossen werden solle.