Flüchtlingshelfer auf Lesbos Ein Prozess mit vielen Fehlern
24 Seenotretter müssen sich auf der Insel Lesbos vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Doch das Vorgehen wirft Fragen auf.
Sean Binder ist blass, die Anspannung ist ihm sichtlich anzumerken, als er das Gerichtsgebäude in Mytilini, der Hauptstadt der griechischen Insel Lesbos betritt. Freundlich grüßt er die anwesenden Journalistinnen und Journalisten. Das Interesse der internationalen Medien ist groß.
"Ich hoffe, dass wir diesen Prozess endlich beginnen können. Seit vier Jahren warten wir darauf, während die Staatsanwaltschaft den Prozess verzögert hat", sagt er.
Mardini nimmt nicht am Prozess teil
Binder ist einer von insgesamt 24 Flüchtlingshelferinnen und -helfern, die sich hier vor Gericht verantworten müssen. Darunter auch die Syrerin Sarah Mardini, deren Flucht aus Damaskus über die Türkei nach Griechenland in der Netflix-Produktion "Die Schwimmerinnen" verfilmt wurde. Nach ihrer Flucht hat die heute 27-Jährige als Freiwillige auf Lesbos gearbeitet bis sie und Binder 2018 verhaftet wurden.
Ihnen wird unter anderem Spionage, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und die illegale Nutzung von Funkfrequenzen vorgeworfen. Mardini selbst kann nicht am Prozess teilnehmen, da ihr die griechischen Behörden ein Einreiseverbot erteilt haben. Sie wird durch eine Anwältin vertreten.
20 Jahre Haft drohen
Die Angeklagten streiten sämtliche Vorwürfe ab, sie hätten nichts Illegales getan, sondern lediglich Menschen in Not geholfen. "Wir müssen sicherstellen, dass Such- und Rettungsmaßnahmen erlaubt sind. Wir müssen sicherstellen, dass die Menschen das Recht haben, Asyl zu beantragen", sagt Binder. "Wir müssen uns ganz einfach an die Rechtsstaatlichkeit halten." Er hofft, dass die Staatsanwaltschaft das tun werde.
Die griechischen Behörden haben das Verfahren geteilt: Beim aktuellen Prozess sollen nur die weniger schweren Vergehen verhandelt werden. Für die schwerwiegenden Straftaten soll irgendwann ein zweiter Prozess angesetzt werden. Insgesamt drohen den Angeklagten bis zu 20 Jahre Haft.
Sarah Mardini träumte einmal davon, als Schwimmerin bei Olympia zu starten. Ihre Flucht aus Syrien gelang ihr unter so dramatischen Umständen, dass die Geschichte verfilmt wurde.
Richterin reagiert ungehalten
Mit ein wenig Verzögerung beginnt der Prozess. Schnell wird klar: Es wird ein schwieriges Verfahren. Die Verteidigung wirft der Staatsanwaltschaft vor, die Anklage schlampig vorbereitet zu haben. Selbst die Richterin zeigt sich ungehalten über die diversen Verfahrensfehler - vor allem, da der Prozess bereits im November 2021 hätte beginnen sollen, aber schon damals aufgrund derselben Verfahrensfehler eingestellt werden musste.
So werden in der Anklageschrift die Angeklagten beispielsweise nicht beim Namen genannt, sondern nur mit Nummern. Allerdings ist nirgends ersichtlich, wer mit den jeweiligen Nummern gemeint ist. Aufgrund der sehr vagen Formulierungen ist auch nicht klar, ob allen Angeklagten dieselben Vergehen und Straftaten zur Last gelegt werden.
"Unsere Menschenrechte verletzt"
"Wir haben den ganzen Vormittag damit verbracht, einen Grund nach dem anderen zu nennen, warum dieser Prozess so nicht fortgesetzt werden kann", erklärt Binder. Die Staatsanwaltschaft habe einen Fehler nach dem anderen gemacht. "Sie haben unsere Menschenrechte verletzt, sie haben Verfahrensfehler gemacht. Sie haben alles Mögliche getan, damit dieser Prozess nicht stattfindet."
Dabei wollen Binder und die anderen unbedingt, dass das Verfahren nach Jahren der Ungewissheit endlich beginnt. Sie sind überzeugt, in einem fairen Prozess ihre Unschuld beweisen zu können. Außerdem bliebe dann auch für andere Seenotretter kein Schatten des Zweifels mehr bestehen, sagt Binder.
Könnte der Prozess platzen?
Deswegen haben die Verteidigerinnen und Verteidiger gefordert, die Verfahrensfehler schnellstmöglich zu beheben, sagt Clio Papandoleon, Anwältin von Binder und Mardini: "Alle Verteidiger haben heute ihre Einsprüche eingereicht. Ich denke, dass das Gericht uns aufmerksam zugehört hat. Die Richter scheinen den Fall gut studiert zu haben." Das Gericht würde die Beweise und Argumente prüfen. "Am Freitag erwarten wir den Antrag der Staatsanwaltschaft und die Entscheidung des Gerichts."
Im schlimmsten Fall platzt der Prozess erneut. Das würde bedeuten, dass das Warten und die Ungewissheit weitergehen. Doch nach diesem ersten Tag scheinen Verteidiger und Angeklagte zumindest ein bisschen zuversichtlicher.