Großbritannien Der Minister tankt - die Briten müssen sparen
1,3 Millionen Briten droht wegen hoher Heiz- und Spritkosten ein Leben unter der Armutsgrenze, Finanzminister Sunak will sich als Wohltäter inszenieren. Doch ein PR-Auftritt misslang - und viele Möglichkeiten hat er nicht.
Der britische Finanzminister Rishi Sunak wollte sich hemdsärmelig präsentieren. So wie es die Regierung gerne macht, wenn es darum geht, die Bevölkerung davon zu überzeugen, trotz Krisen in guten Händen zu sein. Premier Boris Johnson zum Beispiel trägt stets einen Bauarbeiter-Helm, wenn er Industrie-Firmen besucht, oder kleidet sich in Polizei-Montur bei Treffen mit den Einsatzkräften. Er benutzt oft auch das Wort "Weltklasse", wenn es um Großbritannien geht. Superlative und zupackende Selbstinszenierungen - das Rezept, um die Briten zu besänftigen, wollte auch Sunak anwenden. Nur diesmal ging es schief.
Nun befindet sich das Vereinigte Königreich gerade in einer schweren Krise und der Finanzminister muss eine Lösung finden: Die Inflation ist hoch - im Februar lag sie bei 6,2 Prozent. Eine unabhängige Regierungsstelle für Budget-Verantwortlichkeiten rechnet sogar mit einer weiteren Steigerung auf neun Prozent bis zum Ende des Jahres.
Dazu kommt: Die Energiekosten gehen auch auf der Insel durch die Decke. Ab April werden die Briten doppelt so hohe Rechnungen im Briefkasten vorfinden wie vor einem Jahr. Ebenfalls ab April steigen die Sozialabgaben um 1,5 Prozent. Das hatte die Regierung vor einem halben Jahr beschlossen, um den unterfinanzierten Gesundheits- und Pflegesektor vor dem Kollaps zu retten.
Unglaubwürdig beim Tanken inszeniert
Alles in allem muss sich die britische Bevölkerung folglich auf stark steigende Kosten einstellen - und auf den größten Rückgang ihres Lebensstandards seit 70 Jahren. Ein typischer Haushalt, rechnen Experten vor, verliert dieses Jahr durch Abgaben und Inflation umgerechnet etwa 1300 Euro. Für manche hat das dramatische Folgen: 1,3 Millionen Menschen, darunter auch einer halben Million Kinder, droht ein Leben unterhalb der Armutsgrenze.
Finanzminister Sunak musste also etwas tun - und griff erneut zum Superlativ: Er kündigte als Abmilderung "die größte Senkung der Benzinsteuer aller Zeiten" an. Der Steuersatz werde zur Entlastung der Haushalte um fünf Pence pro Liter reduziert. Um seiner Politik Ausdruck zu verleihen, fuhr Sunak auf eine Tankstelle. Er ließ sich dabei filmen, wie er den Tank eines Kleinwagens füllte.
Die gewünschte Botschaft: Tanken ist kein Problem. Nur hatte die Aktion nicht den gewünschten Effekt: Das schlichte Auto passte nicht zu ihm, dem Mann im maßgeschneiderten Anzug. Er hatte den Wagen bei einem Mitarbeiter der Tankstelle geliehen, wie seine Behörde einräumte. Die Glaubwürdigkeit der Aktion? Zumindest angekratzt.
Bevölkerung hat "Partygate" nicht vergessen
Als der Finanzminister sich dann an der Zapfsäule zum Interview aufstellte und auch die Ankündigung einer Einkommensteuer-Senkung von 20 auf 19 Prozent als Hilfspaket erläuterte, das "Milliarden zurück in die Taschen der Briten" schütten werde, durchkreuzte ein Motorradfahrer die gewünschte Szene.
Die Steuersenkung soll nämlich erst in zwei Jahren greifen und dem Mann gefiel wohl grundsätzlich nicht, was Sunak da verkaufen wollte. Er machte im Hintergrund mit seiner Hand erst eine Geste, als würde er trinken, und anschließend mit reibendem Daumen, Zeige- und Mittelfinger das Zeichen für Geld. Offensichtliche Botschaft: Für Parties, eine Anspielung auf die Partygate-Affäre, haben sie bei den regierenden Tories Geld, sonst nicht.
Die Szene machte die Runde und der Versuch, der Krise mit großen Worten und Symbolik die Dramatik zu nehmen, schlug fehl. Schnell wuchs auch an anderer Stelle die Erkenntnis, dass Sunak der Bevölkerung nur ein Trostpflaster anzubieten hatte.
Bevölkerung hat kaum Hilfe zu erwarten
Zwar will der Finanzminister auch die Sozialversicherungsabgabe reduzieren, um der Bevölkerung entgegenzukommen. Sunak bezeichnet sein Maßnahmen-Paket als "die größte Netto-Steuersenkung für einzelne Personen in einem Vierteljahrhundert".
Renommierte Experten des Landes kommen hingegen zu einem völlig anderen Ergebnis: Der Chef der Bank of England, Andrew Bailey, warnt, die Briten würden dieses Jahr einen "historischen Schock" bei ihren Einkünften erleben.
Auch das Institute for Fiscal Studies glaubt, nahezu alle Arbeitnehmer müssten am Ende in jedem Fall mehr Steuern zahlen. Die Last steige, da durch die Inflation die Abgaben steigen. Die Lohnsteigerungen seien dabei geringer als der Anstieg der Teuerungsrate. Ergo: Die Leute zahlen mehr. Und die Maßnahmen seien - anders als die großen Worte - kaum ein Griff unter die Arme der gebeutelten Bevölkerung. So eindeutig wurde die auf großspurige Rhetorik und symbolhafte Inszenierung angelegte Politik der britischen Regierung selten bloßgestellt.
Sunaks Problem ist, dass er gar nicht viel Handlungsspielraum hat. In der DNA der konservativen Partei ist eine Politik möglichst geringer Steuern verankert. Er selbst möchte sich in der Öffentlichkeit auch als Steuersenker präsentieren. Das verlangen zudem viele Parteikollegen von ihm. Durch den Brexit und die Pandemie hat die Regierung viel Geld ausgeben müssen; Mittel für große Maßnahmen zur Bekämpfung der Lebenshaltungs-Krise sind deshalb scheinbar nicht vorhanden.
Für die britische Bevölkerung bedeutet dies, dass sie keine große Hilfe von der Regierung zu erwarten hat - auch wenn die einen anderen Eindruck vermitteln möchte.