Zusammenarbeit auf der ISS Russlands Krieg und die Folgen im Weltall
Die ISS wurde als internationales Friedensprojekt initiiert - doch jetzt führt Russland Krieg. Was bedeutet das für die Zukunft der Raumstation? Und was für die sieben Astronauten an Bord?
Vier Amerikaner, zwei Russen und ein Deutscher - das ist die aktuelle Besatzung auf der Internationalen Raumstation ISS. Wie geht die internationale Crew mit dem Krieg in der Ukraine um? Und wie geht es dem deutschen ESA-Astronauten Matthias Maurer, der im November zur ISS geflogen ist? Eine Pressekonferenz, bei der der Astronaut heute eigentlich Journalistenfragen beantworten wollte, wurde von der ESA abgesagt.
"Wir verstehen uns gut"
Stattdessen gibt Josef Aschbacher, der ESA-Generaldirektor, Auskunft und erklärt, dass es Matthias Maurer gut gehe. Im Interview mit tagesschau.de erzählt er von einem Telefonat, das er mit ihm geführt hat:
Herr Maurer sagt: 'Macht euch keine Sorgen um mich. Wir verstehen uns gut.' Aber er sagt, dass sie natürlich in der Raumstation auch mitbekommen, was hier am Boden passiert. Das sei sehr besorgniserregend. Eine Message, die er mitgeben will: Aus der Perspektive des Weltraums sehe man, wie fragil unser schöner Planet ist. Da sei es unverständlich ist, dass man hier Krieg führt.
Der deutsche Astronaut Matthias Maurer auf einem Foto aus dem Januar. Man verstehe sich nach wie vor gut an Bord, lässt er jetzt mitteilen - und richtet einen Appell für Frieden auf die Erde.
ISS als Friedensprojekt geplant
Wie es mit der Internationalen Raumstation als Ganzes weitergeht, lässt der ESA-Chef offen. Die Raumstation wird unter anderem von der NASA, der russischen Weltraumagentur Roskosmos und der Europäischen Weltraumagentur (ESA) betrieben. "Das System ist sehr eng verflochten, man ist abhängig voneinander", erklärt Aschbacher. "Das war ja auch genau der Zweck der ISS, als sie aufgebaut wurde, dass sie ein Friedensprojekt ist zwischen verschiedenen Nationen, Völkern und Kulturen und das hat ja auch mehr als 20 Jahre sehr gut funktioniert. Jetzt haben wir eine neue Situation."
Konkreter wird er nicht, aber zumindest kurzfristig scheint die Zusammenarbeit gesichert. Ein sofortiger Ausstieg der Russen könnte problematisch werden, erklärt der ehemalige Astronaut Ulrich Walter: "Das wäre schwierig, weil ein zentrales Modul der Raumstation, eine Art Steuermodul, von den Russen ist. Wenn die Russen also jetzt sofort aussteigen würden, hätten wir relativ große Schwierigkeiten. Aber darüber brauchen wir uns im Augenblick keine Gedanken machen, denn die Russen haben nicht gesagt, sie steigen aus."
Vernetzt im Weltraum
Das Beispiel der ISS zeigt, wie vernetzt die Zusammenarbeit der Staaten im Weltraum ist. SWR-Wissenschaftsredakteur Uwe Gradwohl nennt Beispiele: "Amerikanische Raketen fliegen mit russischen Triebwerken. Ein in den USA ansässiges Unternehmen vermarktet die Starts der russischen Trägerrakete Proton. Die Erststufe der Antares-Rakete wird in der Ukraine gebaut, mit russischem Antrieb und startet ab Florida."
Die ESA hat seit dem Ende des Kalten Kriegs immer darauf geachtet, mit vielen Playern gemeinsame Projekte durchzuführen. Sei es mit Amerikanern, Russen und mit den Chinesen. So hat ESA-Astronaut Maurer an einem Überlebenstraining für Astronauten in China teilgenommen und ist mit einer Raumkapsel des US-Unternehmens SpaceX zur ISS geflogen. Sein Vorgänger Alexander Gerst ist 2014 und 2018 mit den Russen vom Weltraumbahnhof Baikonur ins All gestartet.
Sanktionen gegen Russland treffen auch Mars-Mission
Jetzt müssen sich Staaten und Weltraumagenturen wie die ESA neu organisieren, da die Sanktionen gegen Russland greifen. Ganz konkret steht derzeit die europäisch-russische Mars-Mission "ExoMars" auf der Kippe. Diesen Herbst sollte ein europäischer Mars-Rover an Bord einer russischen Proton-Rakete von Baikonur aus starten.
"Der Mars-Rover ist zwar ein Projekt der ESA, aber in ihm steckt auch russische Hardware. Und ohne die russische Landeplattform kann der Rover nicht auf die Marsoberfläche rollen", erklärt Wissenschaftsredakteur Gradwohl. Den russischen Anteil an dem Projekt durch europäische Eigenentwicklungen zu ersetzen sei so schnell nicht möglich. "Sogar die Zeit bis zur nächsten Startgelegenheit Richtung Mars im Jahr 2024 ist da wahrscheinlich zu knapp."
"Chinesen inzwischen besser als die Russen"
Bereits die Krim-Krise 2014 hatte langfristige Folgen für die Raumfahrt. Damals hatte etwa der US-Kongress beschlossen, dass militärische und staatliche Nutzlasten der USA nicht mehr mit Raketen ins All geflogen werden dürfen, die mit russischen Raketenmotoren ausgerüstet sind. Allerdings wurde eine sehr lange Übergangsfrist bis zum Ende des Jahres 2022 festgeschrieben.
Spannend ist die Frage, welche Allianzen sich in Zukunft im Weltraum bilden werden. Nähern sich beispielsweise Russland und China weiter an? Der ehemalige Astronaut Walter glaubt das nicht: "Die Chinesen haben seit den 60er-Jahren russische Raumfahrttechnik kopiert und in den 90er-Jahren die russische Technik so weit verbessert, dass sie inzwischen besser sind als die Russen." Den Russen habe es immer an Geld gefehlt - anders als den Chinesen, die sehr viel Geld hätten. "Sie bauen die Raumfahrt massiv aus. Sie sind wirklich den Russen inzwischen, teilweise sogar den Amerikanern, in der Raumfahrt überlegen. Sie brauchen keine Partner", sagt Walter.
ESA-Astronaut Matthias wird wohl im Mai von der ISS zurückkehren - wieder an Bord einer SpaceX-Kapsel. Vorher soll noch sein US-Astronautenkollege Mark Vande Hei den Rückflug antreten. Er war an Bord an einer Sojus-Kapsel vergangenes Jahr ins All geflogen. Geplant war, dass er mit den Russen auch wieder zurückfliegt. Man darf gespannt sein, wie diese Geschichte ausgeht.