100 Tage Meloni in Italien Bloß nicht negativ auffallen
Die Rechtspopulistin Meloni inszeniert sich im Amt der italienischen Ministerpräsidentin als Kümmerin. Doch man dürfe nicht vergessen, wo sie politisch herkommt, sagen Experten.
Wenig Fehler machen, nicht negativ auffallen, ein positives Image kreieren - das waren die Leitmotive der ersten Monate Giorgia Melonis. Oder wie es die Bologneser Politikwissenschaftlerin Sofia Ventura formuliert: "Es waren hundert etwas farblose erste Tage." Bislang, meint Ventura, habe es "wirklich relevante Initiativen" noch nicht von Meloni gegeben. Die erste Phase sei von der Sorge der Ministerpräsidentin geprägt gewesen, sich auch international als verlässliche Regierungschefin zu präsentieren. Und damit ihren Kritikern wenig Angriffsflächen zu bieten.
Vor der Wahl im September hatte der "Stern" unter ein Bild mit Meloni die Titelzeile "Die gefährlichste Frau Europas" gesetzt. Entsprechende Befürchtungen zu zerstreuen, scheint der 46-Jährigen wichtig zu sein. Von ihren politischen Grundsätzen ist die erste europäische Regierungschefin, die ihre politische Karriere in einer neofaschistischen Partei begonnen hat, aber bislang nicht abgewichen.
Familiärer Ton
Auch wenn sich Meloni nahbar gibt. Kein breitbeiniges Auftreten à la Donald Trump oder Jair Bolsonaro, sondern eine Inszenierung als Frau, die sich kümmert. "Giorgias Notizen" heißt der Videopodcast, mit dem Meloni seit Amtsantritt mit dem Volk auf Du und Du geht, umgänglich, immer mit ihrem persönlichen Notizbuch in der Hand. Auf dem Buchdeckel steht "Giorgia" in mädchenhaft anmutenden Klebebuchstaben. Sie habe, erzählt Meloni zur Premiere im familiären Ton, überhaupt kein Problem damit, ihre "Entscheidungen den Menschen, die ich repräsentiere, zu erklären". Deswegen habe sie sich entschlossen, ihr Notizbuch zu öffnen und von der Arbeit ihrer Regierung zu erzählen.
Trotz derartiger Gesten sagt Politikwissenschaftlerin Ventura: Niemand dürfe vergessen, wo Meloni politisch herkomme. Es sei zu früh, um sie als Regierungschefin wirklich zu beurteilen. Weiterhin gelte: "Giorgia Meloni hat keine liberale Kultur, da gibt es keinen Zweifel." Noch besorgniserregender sei, dass ihrer Regierung "Kompetenz und ein Projekt für einen Aufschwung des Landes fehlen", meint Ventura. Auch die in Aussicht gestellte Verfassungsreform ist nach Ansicht der Bologneser Professorin Anlass zur Sorge.
Sie verändert das Land kulturell
Meloni hat angekündigt, sie wolle Italien zu einer Präsidialrepublik machen und mehr politische Macht in einer Hand vereinen. Es ist ein altes Herzensprojekt der italienischen Rechten. Dazu kommt eine Steuerpolitik, die neben Geringverdienern gezielt Freiberufler und Kleinunternehmer entlastet, als Geste an die rechten Stammwähler. Das Bürgergeld schafft Meloni schrittweise ab, in der Migrationspolitik erschwert ihre Regierung mit mehreren Dekreten die Rettungsarbeit der Nichtregierungsorganisationen auf dem Mittelmeer.
Einer der bekanntesten Intellektuellen der italienischen Linken, der Philosophieprofessor Michele Prospero, aber sagt: Möglicherweise schlimmer als die konkreten Entscheidungen sei, wie die Regierung versuche, das Land kulturell zu verändern. Beispielsweise, wenn Meloni jetzt als Regierungschefin die These vertritt, ihre neofaschistische Herkunftspartei MSI sei eine Stütze der italienischen Demokratie gewesen. Oder wenn sie einen Mann, der stolz auf seine Mussolini-Statue im Wohnzimmer ist, zum Senatspräsidenten macht - Ignazio La Russa. Das, meint Prospero, seien politische Botschaften, die signalisierten: "Die Tradition wird nicht verleugnet."
Weitgehend unauffällig in der Außenpolitik
In der Regierung würden zwar keine Entscheidungen autoritärer Natur getroffen. "Aber durch Personalien wie La Russa wird das Signal gesendet, dass auch institutionelle Vertreter nun garantieren, dass die Identität ein Bezugspunkt ist", sagt Prospero. Teil dieser kulturellen Wende ist nach Ansicht des linken Philosophen auch, dass Meloni hart gegen illegale Rave-Partys vorgeht, gleichzeitig aber Aufmärsche von Alt- und Neofaschisten zulässt.
Weitgehend unauffällig und kooperativ agiert Meloni bislang in der Außen- und Europapolitik - Unterstützung für die Ukraine inklusive. Auch in der Haushaltspolitik sucht Rom brav den Dialog mit Brüssel. Italien ist auf die von der Europäischen Union in Aussicht gestellten Milliarden aus dem Nach-Corona-Hilfsfonds angewiesen.
Weiter mit Abstand stärkste Kraft
Mit ihrem Politikstil in der der Startphase hat Meloni bei Italiens Bevölkerung Erfolg. Laut einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage sagen 53 Prozent der Italienerinnen und Italiener, die Regierung Meloni habe die Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen. Melonis Partei Fratelli d'Italia musste nach Wochen des Aufwärtstrends zuletzt wegen des Streits um den steigenden Benzinpreis Einbußen hinnehmen. Trotzdem aber bleibt die Rechtsaußenpartei mit über 30 Prozent weiter mit Abstand stärkste Kraft in Italien.
Bemerkenswert ist auch, dass es in der Rechtskoalition weitgehend ruhig bleibt. Selbst die politischen Alphamännchen Matteo Salvini und Silvio Berlusconi zetteln bislang kaum Streit an. Die sich nach außen umgänglich gebende Meloni führt intern ihre Regierungskoalition mit harter Hand.