Regierung gegen Migration "Italien kann nicht Flüchtlingszentrum werden"
In Italien kommen so viele Geflüchtete an wie seit Jahren nicht. Die Regierung greift hart durch: mit einem Notstand und Gesetzesänderungen. Freiwillige aus der Flüchtlingshilfe sind in Sorge.
Soundcheck im Eventzentrum Stadt der alternativen Wirtschaft in Rom. Hier, zwischen graffiti-besprühten Mauern, treffen sich am frühen Morgen Menschen, die in der zivilen Seenotrettung aktiv sind. Sie tauschen sich aus über die Entscheidungen der italienischen Regierung in der Flüchtlingsfrage.
Die Stimmung im Saal ist angespannt. Anwältin Lucia Gennari moderiert durch den Vormittag. "Ich weiß auch nicht, wie wir diese verfahrene Situation lösen sollen", sagt sie. "Aber in einer Sache bin ich mir sicher: Es ist nicht okay, so extreme Maßnahmen zu ergreifen, wie das gerade passiert. Das ist kein respektvoller Umgang mit den Geflüchteten."
Meloni: Italien solle nicht "Flüchtlingszentrum" werden
Damit meint die Anwältin unter anderem ein Gesetz, das Anfang des Jahres erlassen wurde und das die Seenotrettung massiv einschränkt. Schiffe müssen nach einer Rettungsaktion direkt einen vorgegebenen Hafen ansteuern und der liegt manchmal Tagesreisen entfernt. In dieser Zeit können sie keine weiteren Menschen retten. Verstoßen NGOs gegen das Gesetz, müssen sie Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro bezahlen.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will damit eines verhindern: "Es kann nicht sein, dass Italien das neue Flüchtlingszentrum Europas wird", sagt sie. Zusätzlich hatte Meloni vor zwei Wochen einen Notstand ausgerufen. Jetzt gibt es einen Sonderbeauftragten für Migration und die Regierung kann Maßnahmen per Verordnung beschließen, also ohne Zustimmung des Parlaments. Außerdem sind fünf Millionen Euro aus dem nationalen Notstandsfonds locker gemacht worden - unter anderem, um neue Abschiebezentren zu errichten.
Gennari: Menschen haben Respekt verdient
Anwältin Gennari kann nicht verstehen, warum diese Geldsumme nicht anders eingesetzt werde, etwa um Orte wie Lampedusa "weniger menschenunwürdig" werden zu lassen. "Dort sind Menschen untergebracht, die haben Krieg und Todesangst durchgestanden", sagt sie. "Sie haben es verdient, mit größtem Respekt behandelt zu werden. Aber genau das Gegenteil ist der Fall."
Neben Meloni facht Francesco Lollobrigida, italienischer Landwirtschaftsminister und Schwager der Ministerpräsidentin, die Diskussion zum Thema Migration in diesen Tagen weiter an. "Wir müssen ein Wohlfahrtssystem aufbauen, das es den Menschen ermöglicht, zu arbeiten und Familien zu gründen", meint Lollobrigida. "Wir dürfen nicht der Idee des ethnischen Ersatzes nachgeben: Die Italiener bekommen weniger Kinder, also ersetzen wir sie durch Ausländer. Das ist nicht der richtige Weg."
Schadet die Regierung damit sich selbst?
Die Regierung will in diesen Wochen außerdem eine Gesetzesänderung durchbringen, die den "besonderen Schutz" für Geflüchtete aufhebt. Damit wird es für Migranten schwieriger, im Land zu bleiben, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird.
Anwalt Dario Bellucci vom Verband für Rechtsstudien zur Migration sagt, die Regierung schade damit nicht nur sich selbst: "Viel mehr Menschen werden illegal hier in Italien sein und damit auch in Europa. Sie werden keine Möglichkeit haben, einen Aufenthaltstitel zu kriegen. Heißt: sie können weder arbeiten noch Steuern bezahlen, sich keine Wohnung leisten." Das werde dann zum Problem für die lokalen Behörden und für die europäischen Bürgerinnen und Bürger, die mit den Geflüchteten jeden Tag in Kontakt sein müssen, sagt Bellucci.
Der Anwalt steht ganz hinten im Saal, sieht sich die hitzige Diskussion auf dem Podium aus einiger Entfernung an. Bei all dieser Verunsicherung hier im Raum ist er sich sicher, dass sich das soziale Klima in Italien verschärfen wird. "Die italienische Regierung verwendet gerade all ihre Ressourcen darauf, Menschen zu unterdrücken und nicht, um ihnen zu helfen", sagt er weiter. "Wir wissen aus der Vergangenheit, dass Unterdrückung nichts bringt. Sie führt nur zu Ungleichheit, zu sozialen Konflikten und nicht zu einem friedlicheren Zusammenleben unserer Gesellschaft."