Die fünf Kandidaten für die Johnson-Nachfolge im Amt des Premierministers.
Analyse

Johnson-Nachfolge Woche der Entscheidung in London

Stand: 18.07.2022 06:44 Uhr

Das Auswahlverfahren für die Nachfolge des britischen Premiers Johnson geht heute in die nächste Runde. Noch sind fünf Kandidierende im Rennen, bis Ende der Woche sollen aber nur noch zwei übrig bleiben.

Boris Johnson ist zwar zurückgetreten, aber irgendwie auch noch da. Bis Anfang September agiert er als Übergangspremier, und obwohl er hoch und heilig versprochen hat, sich nicht in die aktuelle Politik einzumischen, tut er das natürlich doch. Mit der massiven Unterstützung der britischen Boulevardpresse versucht er derzeit, seine Außenministerin Liz Truss durchzuboxen und sein Erbe, den harten Brexit, als großen Erfolg zu verteidigen.

Truss bemüht sich nach Kräften das ebenfalls zu tun, obwohl es in der Realität weiter wenig Hinweise darauf gibt, dass Johnsons Brexit ein Erfolg ist. Im Gegenteil: Statistiken und Studien unabhängiger Institute zeigen zunehmend, wie schädlich der EU-Austritt für die britische Wirtschaft bereits jetzt ist.

Zentrales Thema: der Brexit

Den rechten Flügel der Partei, der Truss mit Johnson im Hintergrund unterstützt, interessiert das alles aber wenig. Ihm gilt die jetzige Außenministerin als die Einzige, die den Brexit auch weiter in seiner reinen, harten Form verteidigen wird. Und da der rechte Flügel viel Einfluss bei den Tories hat und Truss das Rennen gewinnen will, versprach sie dafür im Gegenzug, im Zweifelsfall auch einen Handelskrieg mit der EU zu beginnen.

In der ersten Fernsehdebatte am Freitag auf Channel 4 wirkte sie allerdings derart hölzern, dass ihr eigentlicher PR-Trick, nämlich in Kostümen aufzutreten, die Margaret Thatchers Garderobe nachempfunden waren, wie unfreiwillige Satire wirkte. Und da man bei den zahlreichen Tory-Psychodramen meist erst ganz am Ende weiß, wie es ausgeht, sind die Chancen der Außenministerin seitdem wieder ganz unklar.

Liz Truss

Truss setzte dabei voll auf die harte Brexit-Karte.

Zwei Konkurrentinnen

Ihre schärfsten Konkurrentinnen bleiben damit zwei Frauen: Kemi Badenoch, ehemalige Junior-Ministerin und unbeschriebenes Blatt, mit wenig Vision, aber großen rhetorischen Fähigkeiten, die versprochen hat, die "Culture Wars" des rechten Flügels fortzuführen. Und Penny Mordaunt, die den klaren Vorteil hat, von Johnson 2019 als Verteidigungsministerin gefeuert worden zu sein, und sich deshalb jetzt als Neuanfang mit Erfahrung verkaufen kann.

Die Zeit seit dem Ende ihrer kurzen Karriere als Verteidigungsministerin hat sie offenbar erfolgreich damit verbracht, an der Parteibasis für sich zu werben, und so ist sie derzeit der Liebling der einfachen Mitglieder, die ja am Ende über die Nachfolge Johnsons abstimmen. Sie wirbt für sich als die Stimme der Vernunft, blieb in den bisherigen Auftritten allerdings extrem vage.

Alte Brexit-Lügen aufgewärmt

Für Aufsehen sorgte sie erst, als sie als bekennende Befürworterin des Brexits eine alte Lüge von 2016 noch einmal wiederholte. Nämlich die Behauptung, man hätte aus der EU austreten müssen, weil die Türkei kurz vor dem EU-Beitritt stand und sonst türkische Gastarbeiter die Insel zu überschwemmen drohten. Auch auf mehrfaches Nachhaken der Moderatoren, dass das de facto Unsinn sei, erwiderte sie schlicht: "So sehe ich das nunmal." Auch bei ihr also bleibt - trotz persönlicher Distanz - Johnsons Stil allgegenwärtig, sich mit faktenfreien Behauptungen aus schwierigen Situationen zu befreien.

Penny Mordaunt

Mordaunt machte mit kaum zu belegenden Aussagen auf sich aufmerksam.

Johnson zieht weiter die Strippen

Die Tory-Mitglieder, die auf einen moralischen Neuanfang hoffen, haben damit nicht mehr wirklich die große Auswahl. Neben dem frühen Favoriten und ehemaligen Finanzminister Rishi Sunak, dessen Rücktritt Johnsons politisches Ende erst ins Rollen brachte, der Johnsons Lügen allerdings zuvor monatelang gestützt hatte, bleibt derzeit nur noch Tom Tugendhat, der sich in Interviews als einziger klar von Johnson distanziert - und damit in der Partei so gut wie keine Chance hat, ins Finale zu kommen.

Denn eins ist klar: Keiner der noch im Rennen befindlichen Kandidaten wird es wagen, Johnsons harten Brexit anzugreifen. Zu stark ist der gestürzte Premier noch im Hintergrund damit beschäftigt, sein Erbe zu retten, und da er weiterhin die Unterstützung der rechten Presse hat, gilt sein Brexit als heilige Kuh, die Diskussion über die entstandenen wirtschaftlichen Schäden bleibt weiter ein Tabu.

Tom Tugendhat

Tugendhats Kandidatur gilt als wenig aussichtsreich.

Tory-Mitglieder noch radikaler als Politiker

Hinzu kommt, dass der Großteil der Tory-Mitglieder ebenfalls weiter hinter dem EU-Austritt steht, auch wenn in jüngsten Umfragen insgesamt immer mehr Briten zu der Einsicht kommen, dass das ganze vielleicht doch keine so gute Idee war. Gewählt wird Johnsons Nachfolger aber eben nur von den knapp 200.000 konservativen Parteimitglieder, nicht einmal 0,3 Prozent der Bevölkerung, die, wenn es um die EU geht, sogar noch radikaler sind als ihre Abgeordneten.

Für Brüssel und die EU geht es bei dieser Wahl damit hauptsächlich darum, ob mit Truss eine rechte Fundamentalistin gewinnen kann, die Johnsons Konfrontationskurs womöglich noch verschärfen dürfte, oder einer der anderen Kandidaten, die im Zweifelsfall aber - wie alle Tory-Premiers vor ihnen - ebenfalls vom rechten Flügel vor sich hergetrieben werden, und so kaum eine wesentlich konstruktivere Haltung Brüssel gegenüber einnehmen dürften.

Gabi Biesinger, Gabi Biesinger, ARD London, 18.07.2022 06:49 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Juli 2022 um 05:00 Uhr.