Ausschreitungen in Frankreich Macron beruft erneut Krisensitzung ein
In Frankreich ist es die dritte Nacht in Folge zu schweren Krawallen in mehreren Städten gekommen. Mehr als 660 Menschen wurden festgenommen. Die Regierung will in einer Krisensitzung über die Lage beraten.
Nach der dritten Nacht in Folge, in der es in Frankreich zu massiven Ausschreitungen gekommen ist, will Präsident Emmanuel Macron mit seiner Regierung zu einer weiteren Krisensitzung zusammenkommen. Der Präsident verließ den laufenden EU-Gipfel vorzeitig. Er wolle um 13.00 an der Krisensitzung teilnehmen, hieß es am Freitag im Elysée. Die bisher getroffenen Sicherheitsmaßnahmen sollten dabei "ohne Tabu" geprüft werden. Auslöser der Krawalle in zahlreichen französischen Städten ist der tödliche Schuss eines Polizisten auf einen 17 Jahre alten Jugendlichen.
Premierministerin Elisabeth Borne schloss nicht aus, dass zur Beruhigung der Lage in Frankreich der Notstand ausgerufen werden könnte. Mehrere Politiker hatten dies angesichts der seit drei Nächten anhaltenden Unruhen gefordert.
"Unerträglich und unentschuldbar"
Borne veröffentlichte auf Twitter Bilder von einem Treffen mit mehreren Ministern, "um eine Bilanz der Gewalt und Missbräuche der Nacht zu ziehen". Sie nannte die Vorkommnisse "unerträglich und unentschuldbar".
Bereits am Donnerstag hatte Macron eine Krisensitzung abgehalten, infolge derer das Polizeiaufgebot landesweit stark aufgestockt wurde. In der vergangenen Nacht waren Angaben des französischen Innenministeriums zufolge etwa 40.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, davon etwa 5000 in Paris.
Fast 250 Polizeikräfte verletzt
Trotz der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen kam es in der Nacht zu Freitag in mehreren Städten wie Paris, Marseille, Lyon, Toulouse oder Lille zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dabei wurden 249 Einsatzkräfte verletzt, wie Innenminister Gérald Darmanin mitteilte. Schwere Verletzung habe jedoch niemand erlitten.
Darmanin dankte allen Mitgliedern der Polizei und Gendarmerie, die sich in der vergangenen Nacht ein weiteres Mal "mit Mut" der Gewalt entgegengestellt hätten.
Mehr als 660 Festnahmen
Bereits am Donnerstag hatte Darmanin eine "entschlossene Antwort des Staates" auf die Krawalle angekündigt. In der vergangenen Nacht seien 667 Menschen im Zuge der Ausschreitungen festgenommen worden. Bei den Zusammenstößen in der vorangegangenen Nacht hatte es 150 Festnahmen gegeben.
Bei den Ausschreitungen waren in der Nacht zu Freitag in mehreren Städten erneut Autos in Brand gesetzt und Barrikaden auf den Straßen errichtet worden. In Paris wurden Schaufenster von Geschäften eingeworfen. Wie die Zeitung "Le Monde" weiter berichtete wurden in Aubervilliers nahe der Hauptstadt mehrere Busse in Brand gesteckt, woraufhin der Betrieb mehrerer Linien zeitweise eingestellt oder eingeschränkt wurde.
Wie "Le Monde" berichtete, kündigte die Präsidentin des Regionalrates von Île-de-France, Valérie Pécresse, Soforthilfen in Höhe von 20 Millionen Euro an. Mit der Summe sollten in der Region, zu der auch Paris gehört, die verursachten Schäden schnellstmöglich beseitigt werden. Dazu zählten beschädigte Gebäude wie Schulen oder Rathäuser, aber auch Straßenbahnen oder geplünderte Geschäfte.
Auch in Grenoble wurde ein Bus mit Feuerwerkskörpern beschossen. Die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe legten daraufhin die Arbeit nieder. In der Hafenstadt Marseille gerieten in der Nacht Hunderte Protestierende mit der Polizei aneinander, Geschäfte wurden geplündert. Die Polizei feuerte Tränengas ab, als es zu Zusammenstößen mit Jugendlichen kam, berichtet die Zeitung "La Provence".
Auch in Brüssel Zusammenstöße mit der Polizei
Schon an Donnerstagabend war die Lage in Nanterres eskaliert, als es im Anschluss an einen Trauermarsch für den erschossenen Jugendlichen zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. An dem Trauermarsch hatten sich der Nachrichtenagentur dpa zufolge etwa 6000 Menschen beteiligt. Polizisten wurden von Protestierenden mit Molotow-Cocktails beworfen, die Polizei überwachte die Lage mit Hubschraubern und zog Spezialkräfte zusammen.
Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften. Etwa zehn Menschen wurden festgenommen, wie die Polizei mitteilte. Es habe mehrere Brände gegeben.
Laut Polizei hatten Jugendliche in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich als Reaktion auf den Tod des 17-Jährigen in Frankreich zu versammeln. Spannungen gab es laut der belgischen Nachrichtenagentur Belga vor allem rund um das zentral gelegene Stadtviertel Anneessens.
Ermittlungen wegen Verdachts auf Totschlag
Vor drei Tagen war ein 17-Jähriger nordafrikanischer Abstammung im Pariser Arbeitervorort Nanterre durch den Schuss aus der Waffe eines Polizisten ums Leben gekommen.
Eine Motorradstreife hatte den 17-Jährigen am Dienstagmorgen am Steuer eines Autos gestoppt. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel der tödliche Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten.
Die Staatsanwaltschaft hat wegen des Verdachts des Totschlags ein Verfahren gegen den Beamten eingeleitet. Er kam in Untersuchungshaft. Der Einsatz der Waffe bei der Kontrolle war nicht gerechtfertigt, hieß es von der Staatsanwaltschaft.
Polizist entschuldigt sich bei Familie
Nach Angaben seines Anwalts entschuldigte sich der Polizist im Polizeigewahrsam bei der Familie. "Die ersten Worte", die der Beamte gesagt habe, "waren, sich zu entschuldigen, und die letzten, die er gesagt hat, waren, sich bei der Familie zu entschuldigen", sagte der Anwalt im Fernsehsender BFM TV.
Sein Klient habe im Gewahrsam erstmals das Video gesehen und sei "extrem erschrocken von der Gewalt dieses Videos" gewesen. "Er ist am Boden zerstört. Er steht nicht morgens auf, um Menschen zu töten. Er wollte nicht töten", fügte der Anwalt hinzu und kündigte an, Widerspruch gegen die Untersuchungshaft einzulegen.