Blockabfertigung Hilferufe aus dem Inntal
Urlauber und Anrainer kennen und fürchten sie gleichermaßen: die Blockabfertigung vor der deutsch-österreichischen Grenze. Besonders betroffen ist die Inntal-Autobahn in Bayern. Welche Alternativen gäbe es?
Es ist eine weitere schlimme Woche für die Menschen, die in den Dörfern neben der Autobahn A93 leben. Von Montag bis Freitag Blockabfertigung an der Grenze, nur der Feiertag dazwischen bringt eine kleine Ruhepause. Ansonsten jeden Morgen das gleiche Bild: Lkw-Rückstau über 30 Kilometer durch das gesamte bayerische Inntal, oft bis auf die A8 München-Salzburg. Gestresste Fernfahrer weichen auf die Landstraßen aus und verstopfen mit ihren tonnenschweren Lastzügen die Ortsdurchfahrten von Dörfern wie Nußdorf, Brannenburg und Oberaudorf.
Weiterfahrt versperrt
Stress ohne Ende bedeute das für ihn, sagt Christian Margreiter, Busunternehmer aus Nußdorf. Oft kommen die Fahrzeuge seiner Firma nicht mehr durch, Schüler und Berufspendler bleiben sprichwörtlich auf der Strecke. Bei Dreharbeiten während einer Busfahrt erlebt ein BR-Team, wie die Auffahrt auf die Autobahn unmöglich ist. Der Fahrer findet keine Lücke in der Wand aus schweren Lastwagen. Es dauert lange, bis er sich in gefährlichen Manövern auf die zweite Spur bugsiert hat. Margreiter erzählt, dass er schon eine Polizei-Eskorte bekommen hat, um die Kinder zu ihren Schulen bringen zu können.
Auch für Rettungsdienste mit lebenswichtigen Transporten war schon manches Mal die Weiterfahrt versperrt. Wenn man die Menschen im Inntal fragt, wie sie die Blockabfertigung sehen, hat jeder eine Geschichte, wie ihn die Blechlawine bei den alltäglichen Verrichtungen ausbremst. Und es macht sich so etwas wie Verzweiflung breit: Die Bewohner können nicht mehr und wollen nicht mehr.
Bayern dringt auf EU-Vertragsverletzungsverfahren
"Die Nerven liegen blank im Inntal", so fasst der bayerische Verkehrsminister die Lage zusammen. "Die Menschen haben es satt, die Blockabfertigung kann in diesem Stil nicht mehr hingenommen werden." Christian Bernreiter ist erst seit ein paar Monaten im Amt. Er will das Problem mit neuem Elan angehen und hat einen Brief an die EU-Kommission geschickt. Darin bitte er, so Bernreiter gegenüber dem BR, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, "ernsthaft zu prüfen, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten kann".
Die Lkw-Dosierung durch die Tiroler sei völlig unverhältnismäßig, solche Maßnahmen seien allenfalls in echten Notfallsituationen gerechtfertigt. Bernreiter will möglichst bald nach Brüssel fahren und die Sache persönlich mit der CDU-Politikerin besprechen. Auch die Bundesregierung habe er gebeten, einzuschreiten und Druck zu machen, sagt der bayerische Minister.
Tirol betont große Unterstützung für Blockabfertigung
Seine Tiroler Kollegin, Ingrid Felipe, bleibt angesichts dieser Drohungen sehr gelassen. Die Landeshauptmann-Stellvertreterin, in der Regierung zuständig für den Verkehr, sagt im Gespräch mit dem BR, Tirol habe sich alle Maßnahmen sehr gut überlegt. "Unsere eigenen Experten in der Landesverwaltung, unterstützt von juristischen Fachleuten von der Universität Innsbruck, haben genau überprüft, was wir machen können, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht und der europäischen Gesetzgebung gehorcht."
Die Grünen-Politikerin verweist auf den großen Konsens in dieser Frage in Tirol. Die gesamte Bevölkerung und alle Politiker stünden hinter der Notwehrmaßnahme der Blockabfertigung. Felipe berichtet von einer Sitzung des Landesparlaments, die sie gerade für das Interview verlassen hat. "Sie werden sich vielleicht wundern", sagt sie, "aber da werden sogar noch schärfere Maßnahmen gefordert."
Hinter der Grenze, kurz vor der Ausfahrt Kufstein Nord, werden die Lkw auf die rechte Spur geleitet und von einer roten Ampel zum Halten gebracht. Die Ampel zählt die Sekunden herunter und springt dann kurz auf Grün, so dass ein Transporter durchfahren kann. Der Takt variiert: Mal sind es nur zehn Sekunden, mal 15, während die Ampel rot zeigt. Das steuern die Polizisten je nach Verkehrslage weiter südlich im Inntal, vor allem im Großraum Innsbruck. Mal werden so nur 200 Lkw pro Stunde durchgelassen, mal sind es 300. Das klingt nach wenig, bedeutet für die Anwohner aber doch, dass etwa alle zwölf Sekunden ein Lkw vorbeidonnert. Und am Tag kommen auch mit "Dosierung" oft 5000 Lastwagen zusammen. An Spitzentagen wurden schon knapp 10.000 Lkw im Inntal gezählt. Aufs Jahr gerechnet befahren zwischen zwei und 2,5 Millionen Lkw die Brenner-Route.
Mehrere Optionen zur Entschärfung der Lage
Auf die Frage, welche Möglichkeiten sie denn für Bayern und Deutschland sähe, die Situation rasch zu entschärfen, fallen Felipe mehrere Stichpunkte ein. Eine Korridor-Maut München-Verona, wie sie kürzlich der bayerische Ministerpräsident ins Spiel gebracht hatte, findet sie hervorragend geeignet, um "Kostenwahrheit auf der Straße" zu schaffen. Dadurch würde der Transport auf der Schiene attraktiver. Außerdem regt sie an, auch in Bayern schon Lkw-Dosierungen vorzunehmen, "gleich in der Früh, bei der Fahrt auf die Autobahn." Mit intelligenten Systemen den Verkehr zu steuern - es sei eigentlich vereinbart gewesen, dass man da gemeinsam vorangeht. "Bislang leider ohne spürbaren Erfolg", so Felipe.
Und das ist ihr noch wichtig: Dass es kein böses Blut geben möge zwischen Bayern und Tirol. "Ich habe ganz großes Mitgefühl mit allen Anrainern, in Bayern, Tirol und auch Südtirol." Alle hätten das gleiche große Problem: die immer weiter wachsende Verkehrslawine, gegen die man sich wehren müsse. Tatsächlich hört man im bayerischen Inntal oft auch eine gewisse Bewunderung für die Tiroler mit ihren harten Maßnahmen zum Schutz der eigenen Bevölkerung. Sätze wie: "Die machen das schon richtig, so sollten wir auch auf unserer Seite vorgehen", sind von Bürgern wie auch Kommunalpolitikern zu vernehmen.
Transitverkehr sollte auf der Autobahn bleiben
Busunternehmer Margreiter etwa kann nicht verstehen, warum man in Bayern nicht auch den Ausweichverkehr über die Landstraßen und durch die Dörfer verbietet. Also: Transitverkehr muss auf der Autobahn bleiben, auch bei Stau. Tirol mache das doch vor, sagt er, es gehe schon, wenn man wolle.
Tatsächlich hat die Tiroler Landesregierung gerade genau diese Maßnahme verkündet, "um die eigene Bevölkerung zu schützen", wie es heißt. Am Pfingstwochenende dürfen Reisende von Deutschland nach Italien nicht von der Autobahn abfahren. Ziel-, Quell- und Anrainerverkehr ist von diesen Verboten ausgenommen. In Richtung Norden gilt das dann am 18. und 19. Juni, und in beide Fahrtrichtungen an allen Wochenenden zwischen 9. Juli und 11. September.
Und auch die Termine für die nächsten Blockabfertigungen stehen fest: An den Tagen vor und nach Pfingsten und in der Woche von 13. bis 17 Juni wird es wieder eng werden im Inntal.