Finnlands NATO-Aufnahme Eine halbe Norderweiterung
Heute wollen die NATO-Außenminister die Aufnahme Finnlands in die Allianz unter Dach und Fach bringen. Der Schritt wird die Länge der NATO-Grenze zu Russland mehr als verdoppeln. Das Warten auf die Aufnahme Schwedens geht derweil weiter.
Der neue Flaggenmast ist schon aufgebaut vor dem NATO-Hauptquartier im Nordosten von Brüssel. Heute Nachmittag soll zum ersten Mal auch die finnische Flagge gehisst werden. Die Außenminister der NATO werden Finnland als 31. Mitglied im westlichen Bündnis begrüßen.
Eigentlich sollte auch Schweden dabei sein. Bis zuletzt wurde Druck auf die beiden Problem-Partner in der Allianz, die Türkei und Ungarn, ausgeübt, endlich grünes Licht für die Aufnahme beider skandinavischen Länder zu geben, zuletzt noch vor zwei Wochen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.
"Beim NATO-Gipfel in Madrid im letzten Sommer haben wir gemeinsam die Grundlage für den Beitritt gelegt", erinnerte Baerbock den türkischen Präsidenten Erdogan und den ungarischen Premier Orbàn an ihre Zusage. "Und wir erwarten natürlich von allen NATO-Mitgliedern, dass sie diesen Beschluss ohne weitere Verzögerung umsetzen."
Türkei und Ungarn blockieren aus unterschiedlichen Gründen
Baerbock war nicht allein mit ihren Mahnungen - was die beiden Herrscher mit autoritären Ambitionen und notorischem Hang zum Ausprobieren ihrer Veto-Möglichkeiten allerdings wenig beeindruckte. Immerhin, im März gaben beide den Widerstand gegen den Beitritt Finnlands auf. Aber die Aufnahme von Schweden wird weiter hinausgezögert - wenn auch mit unterschiedlichen Erklärungen in Ankara und Budapest.
Der türkische Präsident wirft der Regierung in Stockholm vor, zu großzügig mit militanten Kurden umzugehen, auch mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Bei Ungarns Regierungschef Orbàn scheint sich gleich ein ganzes Syndrom von Aversionen gegen Schweden zusammengebraut zu haben. Schwedens Migrationspolitik erschien ihm seit 2015 zu liberal, schwedische Kritik an seinen Problemen mit dem Rechtsstaat zu forsch und auch die schwedische Bemühungen, seine Fidesz-Partei aus der konservativen Parteienfamilie der EVP herauszudrängen, empfand Orbàn ungarischen Medien zufolge als eine Beleidigung. Ungarische Oppositionspolitiker halten es aber auch für möglich, dass Orbàn am Ende im Einklang mit der Türkei entscheiden wird.
Stoltenberg erwartet Bewegung im Sommer
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht davon aus, dass der türkische Präsident Erdogan seine Blockade nach den Wahlen im Mai aufgibt und Schweden dann im Sommer der NATO beitreten kann.
Generalsekretär Stoltenberg trat auch dem Eindruck entgegen, das Schweden jetzt allein steht. "Schweden ist schon jetzt in die militärischen und zivilen Strukturen der NATO integriert", so Stoltenberg. Die Alliierten seien bereit zu handeln und es sei klar, dass die NATO im Fall von Drohungen oder militärischen Angriffen gegen Schweden reagieren werde.
Eine historische Entscheidung für Finnland
Mit der Aufnahme Finnlands ändert sich die strategische Situation in Nordeuropa. Die gemeinsame Grenze der NATO mit Russland wird sich mehr als verdoppeln - rund 1.300 Kilometer kommen dazu. Für Finnland ist die Entscheidung ein historischer Schritt. Das Land gibt nach Jahrzehnten seine Bündnisfreiheit auf, Russlands Angriff auf die Ukraine hat bei den Finnen ein Umdenken ausgelöst.
Aber auch die NATO profitiere vom Beitritt Finnlands, erklärte Stoltenberg. "Finnland wird bedeutende militärische Streitkräfte mitbringen, die gut trainiert und gut ausgerüstet sind". Dazu komme eine ungewöhnlich hohe Zahl von Reservisten. Dann folgte eine Spitze in Richtung der Länder, die das Zwei-Prozent-Ziel noch nicht erreicht haben, darunter Deutschland. "Wir müssen auch daran erinnern", so Stoltenberg, "dass Finnland zu den wenigen Ländern in Europa gehört, die ihre Verteidigungsausgaben nach dem Ende des Kalten Krieges nicht gekürzt haben".
NATO-Aufnahme auch für die Ukraine?
Ob die Ukraine NATO-Mitglied werden kann und wann das überhaupt möglich ist - dieses alte Streitthema soll heute in Brüssel neu aufgerollt werden. Eine kleine Minderheit osteuropäischer Länder tritt für die Aufnahme der Ukraine ein. Aber die große Mehrheit, darunter Deutschland und Frankreich, hält es für unmöglich, ein Land aufzunehmen, das sich mitten im Krieg befindet.
Stattdessen will man darüber beraten, wie die Allianz ihre Beziehungen zur Ukraine vertiefen kann, etwa durch eine Annäherung an westliche Militärstandards und durch eine Unterstützung beim Kampf gegen die Korruption.