Nach Rücktritt Welche Pläne hat Rutte?
Ist er amtsmüde? Oder plant er eine Rückkehr mit schärferem Profil, um Wähler von rechts zurückzugewinnen? Nach der Rücktrittsankündigung von Ministerpräsident Rutte rätseln die Niederlande darüber, was er vorhat.
Es kriselte schon länger in der Vier-Parteien-Koalition von Mark Rutte. Die Stimmung war schlecht, in wichtigen Fragen konnte man sich kaum noch einigen. Beim Thema Wohnungsnot nicht, bei der Energiewende, in der Klimapolitik - überall, wo Entscheidungen dringend nötig waren, konnte Mark Rutte sich oft nicht mehr durchsetzen. Im Streit über die Asylpolitik zog er am Freitagabend die Notbremse. "Leider müssen wir den Schluss ziehen, dass die Unterschiede unüberbrückbar sind", sagte er da.
Entzündet hatte der Streit sich am Familiennachzug: Rutte und seine rechtsliberale Partei VVD wollten den Nachzug erschweren. Ihre Forderung: Flüchtlinge, die schon in den Niederlanden sind, sollen frühestens nach zwei Jahren die Möglichkeit bekommen, ihre Angehörigen nachzuholen. Inakzeptabel schien das für die kleineren Koalitionspartner. Undenkbar, hieß es in den Reihen der Christenunion, wenn Flüchtlinge nicht einmal ihre Kinder nachholen können.
Für Rutte war das der Punkt für den Ausstieg. Sehr bedauerlich, aber "eine politische Realität, an der wir nicht vorbei können."
Debatte über wachsende Zahl von Geflüchteten
Die politische Realität, das ist auch in den Niederlanden eine hitzige Debatte über die wachsende Zahl von Flüchtlingen. Im Jahr 2022 waren es ein Drittel mehr als im Vorjahr. Und für das laufende Jahr könnten es Schätzungen zufolge 70.000 werden - das wären mehr als 2015, dem Jahr mit dem bisherigen Höchstwert. Gleichzeitig hat die Regierung Unterkünfte und Betreuung zusammengestrichen. Mit der Folge, dass die Schutzsuchenden in zum Teil miserablen Verhältnissen leben mussten.
Menschenrechtsorganisationen kritisierten das und Rutte selbst sagte einmal, er schäme sich für die Behandlung der Schutzsuchenden. Einziger Ausweg war aus Ruttes Sicht die Beschränkung der Einreise. Die Niederlande sollten weniger Migranten aufnehmen, nicht mehr. Den Rücktritt kommentierte er als eine harte Entscheidung für die Regierung, "aber auch für mich persönlich".
Rückkehr mit schärferem Profil?
Was aber ist Ruttes persönliches Ziel? Darüber rätseln die Niederländer. Der 56-Jährige ist seit 13 Jahren Regierungschef, er stand an der Spitze von vier unterschiedlichen Kabinetten mit zum Teil schwierigen Koalitionspartnern. Amtsmüdigkeit wollen einige aus seinem Umkreis beobachtet haben. Andererseits können wenige sich vorstellen, dass der Vollblutpolitiker wegen eines Details in der Migrationspolitik von der politischen Bühne abtritt.
In niederländischen Medien wird etwas anderes vermutet: Dass Rutte es gezielt auf den Bruch in der Migrationspolitik angelegt habe, um dann bei Neuwahlen mit einem schärferen Profil anzutreten. Als einer, der dafür sorgt, dass weniger Flüchtlinge ins Land gelassen werden. Viele Wähler seiner rechtsliberalen Partei sind Meinungsumfragen zufolge abgewandert, zu den entschieden Rechten. Und bei der letzten Provinzwahl im März war es die rechtspopulistische Bauer-Bürger-Bewegung, die auf Anhieb stärkste Kraft wurde. Mit Aussichten, auch das sagen die Umfragen voraus, bei Neuwahlen auf nationaler Ebene ähnlich erfolgreich zu sein.
Gerechnet wird mit Neuwahlen im November. Sicher ist aber auch das nicht. Als Rutte am Nachmittag aus dem Königsschloss kam, wo er mehr als eine Stunde mit dem Staatsoberhaupt, König Willem Alexander, die Lage besprochen hatte, wollte er keine Fragen beantworten. Kein Wort zu möglichen Neuwahlen und auch nichts zu seiner persönlichen Zukunft.