Treffen in Rotterdam Ermüdet im Scheinwerferlicht
Abgekämpft vom nächtlichen Koalitionsausschuss musste sich Kanzler Scholz am Montag in die Niederlande begeben. Auf dem Flug durfte er abermals den Zwischenstand der Gespräche erklären. Gastgeber Rutte erlaubte sich einen Seitenhieb.
Zum Regierungsflugzeug kommen sie gemeinsam per Helikopter direkt aus dem Kanzleramt. Die deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in Rotterdam stehen schon lange im Terminkalender von Kanzler Olaf Scholz und vielen seiner Ministerinnen und Minister.
Gute Laune vor den Kameras
Absagen ist keine Option, das würde schon nach einer größeren Ampelkrise aussehen. So marschiert der Kanzler auf dem Rollfeld vorneweg mit seiner Aktentasche in Richtung Flugzeugtreppe. Die FDP-Minister Volker Wissing und Marco Buschmann folgen flankiert von ihren grünen Kollegen Robert Habeck und Annalena Baerbock.
Sie feixen miteinander, vor den Kameras sieht das nach guter Laune aus. Auch von Ermüdungserscheinungen ist nach der durchverhandelten Nacht keine Spur. Alle hätten noch einmal geduscht, heißt es. Eine Fortsetzung der Verhandlungen sei im Helikopter wegen des Ohrenschutzes ohnehin nicht möglich gewesen. Im Gegenteil: Noch zehn Minuten länger und einige Augen wären zugefallen, wird kolportiert.
Pistorius ist gut gelaunt
Verteidigungsminister Boris Pistorius sitzt da schon lange im Flieger. Er war in der Nacht nicht beim Koalitionsausschuss dabei, hat mit seinem Verteidigungsressort selbst ohnehin genug zu tun. "Sie sind der einzige Ausgeschlafene", begrüßt ihn ein Journalist. "Der Witz ist auch nicht mehr neu, den höre ich schon zum dritten Mal", lächelt Pistorius.
Seine gute Laune hat wohl auch weitere Gründe: Im Laufe des Tages verkündet das Verteidigungsministerium, dass 18 moderne "Leopard 2"-Panzer die Ukraine erreicht haben. Kaum hat dann die Hubschrauber-Besatzung ihre Plätze eingenommen, setzt auf dem Rollfeld ein frostiger Graupelschauer ein, als hätten sie vom Kanzleramt eine Eiszeit mitgebracht.
Doch das ist nicht der Grund, warum der Flieger nicht gleich pünktlich starten kann. Erst kommt Finanzminister Christian Lindner 20 Minuten zu spät, dann will plötzlich die vordere Treppe nicht weichen. Alles hakt irgendwie an diesem Tag.
Ein kurzes Statement im straffen Zeitplan
Scholz weiß, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit ist, zu hören, wie die gemeinsame Regierungsnacht nun war. Lange warten und noch mehr Spekulationen zum Zustand seiner Ampel wachsen lassen will er nicht. Spontan wird ein kurzes Statement im straffen Zeitplan untergebracht. Gleich nach der Landung hält der Konvoi kurz an einem kleinen Ankunftsterminal. Es muss schnell improvisiert werden.
Das Problem: Im Raum passt der Hintergrund der vorgesehenen Kanzler-Ecke fürs Filmen nicht - eine Toilettentür, ein prunkvolles Plastikmodell einer Luxus-Yacht oder ein gerahmtes Plakat eines Segelfliegers stören. Da die Zeit drängt, legt der Regierungssprecher schnell Hand an und der Segelflieger ist abgehängt. Was der Kanzler dann zu sagen hat, bietet inhaltlich ähnlich viel wie die freigelegte weiße Wand.
Nicht genug für Übereinstimmungen
Scholz spricht von "sehr, sehr vielen Fortschritten" und "vielen, vielen Verständigungen" für Deutschlands Modernisierung. Doch, dass es offenbar nicht genug der Übereinstimmungen sind, räumt er gleich anschließend ein: Sie seien nur eine gute Grundlage, um die Koalitionsgespräche am nächsten Morgen fortzusetzen.
Schon wenig später versuchen es die mitgereisten Journalisten erneut. Die große Reisegruppe ist derweil im neuen Rotterdamer Kunstspeicher angekommen, auf ihrer "ganz netten Unterbrechung", wie Scholz die deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen am Flughafen nannte. Ein Hund mit einem mitleidigem Blick schaut von einem Gemälde auf die gemeinsame Pressekonferenz mit Scholz' niederländischem Amtskollegen Mark Rutte herab.
Rutte gibt Tipps zum Weingenuss
Während der niederländische Regierungschef Rutte gestenreich beginnt, die Freundschaft zwischen den Nachbarn zu beschreiben, wirkt Scholz im Scheinwerferlicht zum ersten Mal etwas ermüdet. Seine vorgeschriebenen Witze (die deutsch-niederländische Freundschaft sei immer groß, solange kein Fußball gespielt werde) liest er ab. Im Gegensatz zu Rutte bewegen sich Scholz Hände nur zum Umblättern.
Erst bei den Nachfragen wirkt der Bundeskanzler wieder wacher. "Nein, ich habe nicht schlafen können und es geht mir, wie man sieht, ganz gut", antwortet Scholz auf die erneute Frage nach den Koalitionsgesprächen. Er freue sich auf den "netten Abend" in Rotterdam. "Aber nicht so viel Wein", gibt Rutte von der Seite spontan auf Deutsch Tipps, doch Scholz geht darauf nicht ein.
Er versucht, noch einmal zu erklären, dass der Koalitionsausschuss "sehr klare, konkrete Festlegungen" treffen wolle, um die von ihm ausgerufene "Deutschlandgeschwindigkeit" nicht nur beim Bau der LNG-Terminals zu erreichen, sondern auch in anderen Bereichen.
Der Flieger lässt noch auf sich warten
Außerdem sei so eine lange Nachtsitzung auch eine gemeinsame Erfahrung, wenn man eng miteinander zusammen sei. "Davon erzählt man sich dann auch lange", meint Scholz. Rutte setzt darauf noch einmal schmunzelnd an: "In den Niederlanden haben wir eine Arbeitsschutzbehörde."
Die hätte spätestens beim Abendessen eingreifen müssen: Die deutsche Delegation sitzt da gegen halb acht sichtlich angeschlagen am langen Tisch, ihren niederländischen Ministerkollegen gegenüber. Im obersten Stock des Kunstdepots bietet sich ein tolles Panorama der Rotterdamer Skyline.
Die Tische sind mit großen bunten Blumen geschmückt, die Weißweingläser gut gefüllt. Doch irgendwie wirken die Ampelkoalitionäre so, als wäre ihnen ein Bett gerade lieber. Der Flieger zurück nach Berlin startet aber erst mehr als zwei Stunden später.