Beschädigte Nord-Stream-Pipelines Warnung vor massiven Umweltschäden
Umweltbundesamt und Deutsche Umwelthilfe fürchten hohe Umweltbelastungen durch das in der Ostsee freiwerdende Gas. Russland macht derweil die USA für das Leck verantwortlich - Washington nennt das "lächerlich".
Nach dem Leck in den Pipelines Nord Stream 1 und 2 wächst die Sorge über die Folgen, die das austretende Gas auf die Umwelt hat. Das Umweltbundesamt (UBA) geht davon aus, dass durch die Lecks an den Pipelines 300.000 Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen werden. Nach Berechnungen der Behörde führen die Schäden zu etwa 7,5 Millionen Tonnen an sogenannten CO2-Äquivalenten. Das entspreche etwa einem Prozent der deutschen Jahresemission, teilte das UBA mit. Die Berechnung stütze sich auf geschätzte Informationen zu Füllzustand und Volumen der beiden Pipelines.
Deutsche Umwelthilfe spricht von "Superemitter-Event"
Die Deutsche Umwelthilfe forderte die Betreiber der Nord Stream-Pipelines und die deutschen Aufsichtsbehörden auf, das verbleibende Gas aus allen Strängen der Ostsee-Pipelines unverzüglich abzupumpen. "Die Lecks sind ein Superemitter-Event von unvorstellbarem Ausmaß", sagte Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner in einer Mitteilung.
Insgesamt drei Lecks waren nach ersten Druckabfällen Anfang der Woche sowohl in einer der Röhren der Pipeline Nord Stream 2 als auch an beiden Röhren von Nord Stream 1 entdeckt worden. Die Lecks befinden sich in der Nähe der dänischen Insel Bornholm. In der Region wurden Anfang der Woche Explosionen registriert.
An drei Stellen wurden die Pipelines beschädigt.
Austretendes Gas verzögert Inspektion
Nach Angaben der schwedischen Küstenwache tritt unverändert Gas aus den Lecks. Das Gas könne weder eingefangen "noch bekämpft" werden, so ein Sprecher. Zur Menge des austretenden Gases könne man keine Angaben machen, man behalte die Lecks aber im Auge.
Nach Angaben der dänischen Regierung könne eine Inspektion der Pipelines erst in ein bis zwei Wochen stattfinden. Der dänische Verteidigungsminister Morten Bodskov verwies auf den derzeit in den Leitungen herrschenden Druck und die Menge des austretenden Gases als Hindernisse für die Inspektion.
EU will Energiesicherheit robuster machen
Unklar bleibt weiter, wer für das Pipeline-Leck verantwortlich ist. EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannte in der Erklärung zwar keinen Verdacht, erklärte aber, dass man über die Schäden an den Pipelines sehr besorgt sei. "Diese Vorfälle sind kein Zufall und gehen uns alle an." Man werde jede Untersuchung unterstützen, die darauf abziele, Klarheit über die Vorgänge zu erlangen. Zudem werde die EU Schritte unternehmen, um die Energiesicherheit robuster zu machen.
Die US-Regierung sagte zur Frage der Verursacher, sie wolle keine Mutmaßungen über mögliche Hintermänner einer Sabotageaktion anstellen, bis Untersuchungen an den Erdgasleitungen abgeschlossen seien. Dies könne dauern, sagte der Außenamtssprecher Ned Price. "Wir haben mehr Fragen als Antworten." Medienberichte, nach denen US-Geheimdienste die Europäer in den vergangenen Wochen vor möglichen Attacken auf die Pipelines gewarnt hätten, wollte er nicht kommentieren.
Neumann: Wahrscheinlich Operation eines Staats
Terrorexperte Peter Neumann sagte in den tagesthemen, er gehe davon aus, dass ein Staat der Urheber sei und kein nicht-staatlicher Akteur wie etwa eine Terrororganisation. "Es ist eine Operation, die ziemlich viel Sachverstand, Expertise und Vorbereitung gehabt hat", so Neumann.
Zu der Frage, ob Russland dahinter stecken könnte, sagte er: "Man könnte erstmal fragen: Warum sollte Russland diese Pipeline zerstören, es will uns ja Gas verkaufen?" Es gebe aber schon Argumente, die dafür sprechen. Der Energiemarkt werde noch chaotischer, die Preise gingen noch weiter nach oben.
Außerdem gebe es eine psychologische Konsequenz, so Neumann. Jeder in Europa frage sich jetzt, was mit den anderen Pipelines passieren könne, durch die tatsächlich Öl oder Gas fließe. "Die Verunsicherung in Europa ist heute größer denn je, und die Ursache dafür ist dieser Anschlag", so Neumann. Das sei durchaus in Russlands Interesse.
Russland will Ermittlungen einleiten
Kremlsprecher Dmitri Peskow wies Schuldzuweisungen etwa aus der Ukraine zurück. "Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und absurd, solche Annahmen zu treffen", sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Die Schäden seien auch für Russland ein großes Problem. Beide Stränge von Nord Stream 2 seien mit Gas gefüllt. "Dieses Gas kostet viel Geld, und jetzt entweicht es in die Luft."
Bevor irgendwelche Aussagen gemacht würden, müssten Untersuchungen an den Lecks abgewartet und festgestellt werden, ob es sich um eine Explosion oder nicht gehandelt habe, sagte Peskow. Zudem forderte er, dass Russland an der Aufklärung der Vorfälle beteiligt werden solle. Peskow selbst hatte Sabotage bereits am Dienstag nicht ausgeschlossen.
Die russische Generalstaatsanwaltschaft leitete wegen mutmaßlicher Sabotage der Pipelines ein Verfahren wegen internationalem Terrorismus ein. "Nicht später als am 26.09.2022 wurden im Bereich der Insel Bornholm vorsätzliche Handlungen zur Beschädigung der auf dem Ostseeboden verlegten Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 verübt", teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft auf ihrem Telegram-Kanal mit. Moskau begründete den Schritt damit, dass mit der Beschädigung der Pipelines "Russland erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt" worden sei.
Kreml beschuldigt US-Präsident Biden
Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums deutete derweil an, US-Präsident Joe Biden könnte eine Sabotage der Ostsee-Pipelines angeordnet haben. "Der US-Präsident muss auf die Frage antworten, ob die USA ihre Drohung umgesetzt haben", schrieb Maria Sacharowa im Onlinedienst Telegram.
Sacharowa verwies dabei auf Äußerungen Bidens, die er mehrere Wochen vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gemacht hatte. Sollte Russland im Nachbarland einmarschieren, so Biden damals, dann werde es kein Nord Stream 2 mehr geben. Ohne nähere Angaben zu machen hatte der Präsident betont: "Wir werden dem ein Ende bereiten."
Russland forderte außerdem eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Die Sitzung werde für Donnerstag erwartet, teilte der Vizechef der russischen UN-Vertretung in New York, Dmitri Poljanski, auf seinem Telegram-Kanal mit.
USA: Vorwürfe sind "lächerlich"
Die Vorwürfe, sie könnte hinter dem Sabotageakt stehen, wies die US-Regierung als "lächerlich" zurück. "Wir alle wissen, dass Russland eine lange Geschichte der Verbreitung von Falschinformationen hat", sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, Adrienne Watson.