
Porträt des ÖVP-Politikers Wer ist Österreichs neuer Kanzler Stocker?
Der Weg zur Regierungsbildung war schwierig - doch jetzt ist Christian Stocker österreichischer Kanzler. Dabei halfen ihm Flexibilität und Machtbewusstsein. Der populärste Kanzler dürfte er jedoch nicht werden.
Bisher war Christian Stocker Generalsekretär der ÖVP und Vizebürgermeister in Wiener Neustadt. Er ist ein klassischer Parteisoldat - und jetzt der Kanzler Österreichs.
Das ist eigentlich ein Treppenwitz: Denn den 64-jährigen Anwalt hat es nur deshalb an die Spitze der konservativen ÖVP gebracht, weil die Regierungsverhandlungen zwischen seiner Partei, den Sozialdemokraten SPÖ und den liberalen NEOS in der ersten Runde gescheitert waren.
Zwei 180-Grad-Wendungen hingelegt
In genau dieser Konstellation wird Stocker nun aber die neue Regierung anführen - nach wochenlangem Hin und Her in der österreichischen Innenpolitik, an dem Stocker seinen Anteil hatte. "Vielleicht ist es gut, wenn manche Gemüter sich etwas abkühlen", meinte er vor wenigen Tagen. "Ich kann Ihnen sagen, mein Gemüt ist gut gekühlt."
Stocker, der in seiner Freizeit gerne fischt und Saxofon spielt, kann als durchaus anpassungsfähig beschrieben werden. In den Wochen nach der Wahl Ende September letzten Jahres legte er gleich zwei spektakuläre 180-Grad-Wendungen hin.
Koalitionsverhandlungen mit der rechten FPÖ
Die erste: Entgegen allen Versprechen im Wahlkampf führte er die ÖVP nach dem Rückzug seines Amtsvorgängers Karl Nehammer von allen Ämtern und Funktionen in Koalitionsgespräche mit der rechten FPÖ unter Herbert Kickl.
"Meine sehr geehrten Damen und Herren. Gestern Abend hat mich der Obmann der Freiheitlichen Partei zu einem Gespräch eingeladen. Ich werde dieses Gespräch führen", erklärte er damals.
Schuld zuerst die SPÖ, dann die FPÖ
Die Schuld für das Scheitern der vorherigen Verhandlungen mit SPÖ und NEOS gab Stocker den Sozialdemokraten: Die habe halt eine Politik verfolgt, "die in linken Gedanken verbunden waren."
Gut einen Monat später machte er einen Salto rückwärts und ließ die FPÖ am Verhandlungstisch sitzen. Wieder war die andere Seite schuld, so Stockers Lesart: "Wir sind auch unseren Grundsätzen treu geblieben. Daher sind die Verhandlungen für eine Mitte-Rechts-Regierung an der Haltung von Herbert Kickl letztlich gescheitert."
Wohl nicht der populärste Kanzler
Also zurück auf Start. Stocker entschied pragmatisch und machtbewusst: Statt die ÖVP in Neuwahlen und damit in den nächsten Wahlkampf zu führen, wandte er sich wieder der SPÖ zu und räumte als erstes das harte Nein seiner Partei zu einer höheren Bankenabgabe ab.
"Immer ist man gut beraten, wenn man reflektiert und sich auch hinterfragt, wo man vielleicht kompromissbereiter sein hätte können, was man anders machen hätte können. Das ist eine notwendige Reflexion, der ich mich natürlich auch unterziehe und stelle", erklärte er. Stocker hat also kein Problem damit, Kompromisse einzugehen, um seine Partei an der Macht zu halten.
Auch wenn die ÖVP in Umfragen inzwischen abgestürzt ist und Stocker nicht unbedingt der populärste Kanzler werden dürfte, den das Land je gesehen hat. Er müsse niemandem gefallen und nichts mehr werden, sagte Stocker kürzlich einer Zeitung. Dafür hat er es nun ganz schön weit gebracht.