Regierungskrise in Österreich Nehammer hält an Koalition mit Grünen fest
Österreichs Umweltministerin Gewessler hat dem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt - gegen den Willen von Bundeskanzler Nehammer. Der kündigte eine Anzeige gegen die Grünen-Ministerin an. Zum Koalitionsbruch kommt es in Wien aber nicht.
Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) will die Regierungszusammenarbeit mit den Grünen trotz eines schweren Konflikts um ein EU-Umweltschutzgesetz nicht beenden. Eigentlich sei die Koalition am Ende, sagte der ÖVP-Chef in Brüssel. "Wenn sie mich nach meiner Emotion fragen: Ja es ist Zeit, es hat so keinen Sinn", sagte er vor Journalisten.
Zuvor hatte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) einem ambitionierten EU-Umweltgesetz gegen den Willen der ÖVP zugestimmt. Dies sei "ein mehr als schwerer Vertrauensbruch", sagte Nehammer. Doch mit einem Platzen der Regierung wenige Monate vor der Parlamentswahl würde das Land ins Chaos stürzen. "Ich werde das nicht tun", sagte er.
Kanzleramt will EU-Gesetz mit Klage verhindern
Zuvor hatte Gewessler bei einem Treffen von EU-Umweltministerinnen und -ministern in Luxemburg mit ihrer Stimme eine Mehrheit für das EU-Renaturierungsgesetz ermöglicht. Kurz nach ihrem Votum kündigte die ÖVP eine strafrechtliche Anzeige gegen Gewessler wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs an.
Außerdem will das Kanzleramt das EU-Gesetz mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof verhindern. Aus Sicht der ÖVP hat sich Gewessler widerrechtlich über andere Kabinettsmitglieder und über ein bestehendes Veto der österreichischen Länderchefs gegen das Gesetz hinweggesetzt.
"Das ist eine veritable Regierungskrise"
Vor den Äußerungen Nehammers hatten sich weitere konservative Kabinettskolleginnen und -kollegen der Umweltministerin verärgert geäußert. Die ÖVP-Ministerin für Europapolitik und Verfassung, Karoline Edtstadler, sprach im Österreichischen Rundfunk (ORF) von einer Regierungskrise. "Die Bundesministerin Gewessler hat uns in eine wirklich schwierige Situation gebracht. Das ist eine veritable Regierungskrise", sagte Edtstadler. Jetzt gehe es darum, die notwendigen Schritte zu setzen, um dieses "Unrecht wieder zu beseitigen".
Zustimmung aus Österreich war entscheidend
Der Streit um das Renaturierungsgesetz beschäftigt die Koalition in Wien schon länger. Es verpflichtet die EU-Länder, bis 2030 mindestens je 20 Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete wiederherzustellen und bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme. Darauf hatten sich die Unterhändler der Mitgliedstaaten bereits im November mit den Abgeordneten des Europaparlaments geeinigt. Insbesondere die Landwirtschaft sieht das Gesetz kritisch.
Die endgültige Zustimmung der 27 EU-Länder zu dieser Einigung galt eigentlich als Formalie. Die Verhältnisse im Rat der Mitgliedstaaten waren jedoch bis zuletzt knapp: Italien, Finnland, die Niederlande, Polen, Schweden und Ungarn sprachen sich nach Diplomatenangaben gegen das Gesetz aus. Belgien enthielt sich. Die nötige qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten und mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung kam damit erst mit der Zustimmung Österreichs zustande.
Umweltministerin Gewessler sieht sich im Recht
Nach der Abstimmung in Luxemburg verteidigte Gewessler im ORF ihr Votum für das Renaturierungsgesetz. "Wir wissen alle, dass das dringend notwendig ist. Wo früher Bäche flossen, sind jetzt Betonkanäle, wo früher blühende und lebendige Acker waren, sind jetzt Industrieruinen", erklärte sie. "Die Europäische Union sagt heute deutlich und gemeinsam, so kann es nicht weitergehen. Und wir senden aus Luxemburg ein deutliches Signal für den Schutz unserer Natur, unserer Lebensgrundlage."
Nehammer hatte vor der Abstimmung darauf gedrängt, dass sich Gewessler ihrer Stimme enthält. Diese kündigte aber ihre Zustimmung an. "Ich weiß, dass ich in Österreich auf Widerstand stoßen werde", sagte sie. "Ich bin davon überzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist, dieses Gesetz zu verabschieden", fügte die Klimaschutzministerin hinzu. Einer bereits vor der Abstimmung durch das Kanzleramt in Wien angedrohten Klage sehe sie gelassen entgegen. Dafür gebe es aus ihrer Sicht keine rechtliche Grundlage. Rechtsexperten seien zu einem Schluss gekommen, eine Zustimmung zu dem Gesetz sei möglich und einen rechtskonformen Weg beschreite sie nun.
Auch der grüne Vizekanzler Werner Kogler sah den angekündigten rechtlichen Schritten in einer Stellungnahme "sehr, sehr gelassen entgegen". "Ich bin der völligen Überzeugung, dass wir in Ruhe und mit Kraft in der Regierung weiterarbeiten sollen", sagte er. Österreichs Bundeskanzler Nehammer steht stark unter Druck. Die ÖVP wurde bei der EU-Wahl von der rechten und EU-kritischen FPÖ überholt und auf den zweiten Platz verwiesen. Auch in den Umfragen für die Wahl im September liegt die FPÖ an erster Stelle.
Mit Informationen von Oliver Soos, ARD-Studio Wien