Russischer Angriff auf Ukraine Harsche Kritik an Papst-Appell
Der Papst hat die Ukraine zu Friedensverhandlungen mit Russland aufgerufen - und stößt damit international und vor allem auch in der Ukraine auf entschiedenen Widerspruch. Der Vatikan bemüht sich um Schadensbegrenzung.
Der Papst ist mit seinen Äußerungen, die Ukraine müsse Mut für Friedensverhandlungen mit Russland aufbringen, international auf Kritik gestoßen. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt widersprach dem Appell deutlich. "Niemand möchte mehr Frieden als die Ukraine", sagte die Grünen-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auf dem ukrainischen Territorium gebe es seit zehn Jahren Krieg, unzählige Menschen seien getötet worden.
Göring-Eckardt fügte jedoch hinzu: "Es ist Wladimir Putin, der den Krieg und das Leid sofort beenden kann - nicht die Ukraine. Wer von der Ukraine verlangt, sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine." Göring-Eckardt betonte: "Über Frieden wird und muss verhandelt werden - aber auf Augenhöhe."
"Russland ist der Aggressor"
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann übte ebenfalls Kritik am Papst. Als Katholikin sei sie entsetzt über die Äußerungen Papstes gewesen. "Nicht die Ukraine muss die weiße Flagge heben, sondern letztendlich muss er Russland ansprechen", sagte sie dem WDR. Wenn Russland sich aus der Ukraine zurückziehe, sei der Krieg sofort zu Ende. "Die Opfer aufzufordern, nicht mehr zu kämpfen, das ist schon bemerkenswert", so Strack-Zimmermann.
In einer für deutsche Diplomaten ungewöhnlichen Weise distanzierte sich auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl von den Papst-Äußerungen. In einem Tweet im Netzwerk X (vormals Twitter) schrieb Bernhard Kotsch: "Russland ist der Aggressor und bricht internationales Recht! Deshalb fordert Deutschland Moskau auf, den Krieg zu stoppen, und nicht Kiew (Kyjiw)!" Es folgt ein Symbol der deutsch-ukranischen Freundschaft. Die beiden Sätze sind auf Englisch geschrieben.
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski fand ebenfalls deutliche Worte: "Wie wäre es, wenn man zum Ausgleich Putin ermutigt, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen? Dann würde sofort Frieden einkehren, ohne dass Verhandlungen nötig wären", schrieb Sikorski auf der Plattform X.
Papst hatte sich im Schweizer Fernsehen geäußert
Der Papst hatte in einem am Wochenende vorab veröffentlichen Interview des Schweizer Fernsehens gesagt: "Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln." Ohne eine der beiden Konfliktparteien Russland oder Ukraine direkt beim Namen zu nennen, fügte er hinzu, ohne Verhandlungen könne die Situation noch schlimmer werden, weshalb man sich dafür nicht schämen solle.
In dem Interview wird Franziskus auch nach Forderungen aus der Ukraine nach "Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne" gefragt, was andere als Legitimation der stärkeren Seite sähen. Darauf antwortet der Papst allgemein: "Das ist eine Frage der Sichtweise. Aber ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln."
Ukraine reagiert erbost
Auch in der Ukraine war der Begriff der "weißen Fahne", den der Papst gebrauchte, direkt als Aufforderung zur Kapitulation verstanden worden und hatte sofort erboste Reaktionen ausgelöst. "Es erscheint merkwürdig, dass der Papst nicht zur Verteidigung der Ukraine aufruft, nicht Russland als Aggressor verurteilt, der Zehntausende Menschen tötet", schrieb der frühere Abgeordnete und Vizeinnenminister Anton Heraschtschenko im Netzwerk X.
Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, nannte den Papst mit einem Bibelwort einen "Kleingläubigen".
Inzwischen äußerte sich auch Außenminister Dmytro Kuleba. "Unsere Fahne ist gelb und blau. Das ist die Fahne, mit der wir leben, sterben und durchhalten. Wir werden nie eine andere Fahne hissen", schrieb er auf X. Er dankte dem Papst für seine Gebete in den zwei Kriegsjahren und lud ihn zu einem Besuch in die Ukraine ein.
Vatikan um Schadenbegrenzung bemüht
Der Vatikan bemühte sich daraufhin um Schadensbegrenzung und versuchte, die Äußerungen des Papstes einzuordnen. Papst-Sprecher Matteo Bruni widersprach Darstellungen, der Papst habe die Ukraine in dem Interview zur Kapitulation aufgefordert. Er habe "vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben" wollen.
Bereits Anfang Februar hatte sich der Schweizer Journalist Lorenzo Buccella mit dem Papst getroffen. Oberthema ihres Gesprächs: die Bedeutung der Farbe Weiß, der Farbe des Guten, des Lichts - bei der aber auch Schmutz und Makel besonders deutlich aufscheinen. Aus dem eigentlich philosophisch angelegten Interview wurde schnell ein politisches - auch zum Krieg in Nahost.
Auf die Frage, ob er sich selbst als Vermittler angeboten habe, antwortet Franziskus: "Ich bin hier, ganz einfach. Ich habe einen Brief an die Juden in Israel geschickt, um über diese Situation nachzudenken. Verhandlung ist niemals Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen."
Das Interview wird am 20. März im Schweizer Rundfunksender RSI in voller Länge ausgestrahlt.
Mit Informationen von Verena Schälter, ARD Rom