Notfallverhütung in Polen "Jeder sollte Zugang zur 'Pille danach' haben"
Polens neue Regierung tut sich schwer damit, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren. Auch das Versprechen, die "Pille danach" rezeptfrei zu machen, konnte sie nicht halten. Lediglich einen Modellversuch gibt es - aber auch der hat Hürden.
Die Warschauer Schülerinnen Melissa Plocharska und Wiktoria Brzyska sind enttäuscht. Wenn mal etwas schief gegangen ist, sollte die "Pille danach" einfach und schnell zugänglich sein, finden sie. Doch gerade für Minderjährige ist es kompliziert. Zwei ihrer Freundinnen mussten etwa mit den Eltern zum Arzt, um das nötige Rezept zu bekommen. Eine unangenehme, oft auch schamvolle Situation.
"Es ist ja nicht so, dass jeder ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat und mit ihnen über alles sprechen kann", erklärt Melissa. Dass Jugendliche die "Pille danach" nur mit Zustimmung der Eltern erhalten, empfindet die 17-Jährige als Einschränkung ihrer Freiheit: "So wie jeder Zugang zu Kondomen hat, sollte auch jeder Zugang zur 'Pille danach' haben."
Rezeptpflicht 2017 eingeführt
Als die neue Regierung im vergangenen Jahr die Arbeit aufnahm, war die Hoffnung auf Veränderung bei den beiden Mädchen groß. Denn Donald Tusks Bürgerkoalition hatte im Wahlkampf versprochen, dass die "Pille danach" künftig wieder rezeptfrei in Polens Apotheken verfügbar sein solle - und zwar ab 15 Jahren.
Die 2017 von der nationalkonservativen PiS eingeführte Rezeptpflicht sollte wieder abgeschafft und der Zugang zu dem Notfallverhütungsmittel somit leichter werden. Polen hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa: Abtreibungen sind nur im Fall von Vergewaltigung oder Inzest erlaubt, oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Machtkampf um "Pille danach"
Noch im Februar verabschiedete die neue Regierung eine Gesetzesänderung im Parlament: Die "Pille danach" sollte rezeptfrei ab 15 Jahren in der Apotheke verfügbar sein. Doch Staatspräsident Andrzej Duda, der der PiS nahesteht, verweigerte dem Gesetz die Unterschrift. Dass Minderjährige die "Pille danach" ohne Rezept erhalten können, halte er für weit übertrieben, so Duda - und sorgte mit seinem Veto dafür, dass die Rezeptpflicht bleibt.
Um das Vorhaben zu retten, startete die Regierung ein Pilotprojekt: Seit dem 1. Mai können nun auch Apotheken das Rezept für die "Pille danach" ausstellen. Das soll den Arztbesuch und wertvolle Zeit sparen, denn das Notfallverhütungsmittel muss 120 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Rund 700 Apotheken haben sich bislang für das Projekt angemeldet, auch die von Apothekerin Monika Wąsowska-Imielska in Warschau.
Ohne Gespräch - kein Rezept
"Die Paare, die zu uns kommen, sagen, dass sie noch nicht bereit seien, ein Baby zu bekommen", erzählt sie. Und fügt hinzu: "Mir scheint, dass es besser ist, ihnen auf diese Weise zu helfen, als auf eine andere." Die Nachfrage nach der "Pille danach" sei seit Anfang Mai bei ihr deutlich gestiegen, sagt die Apothekerin. Früher seien es zwei, drei Rezepte im Monat gewesen, jetzt seien es drei am Tag.
Damit die Apothekerin das Rezept ausstellen kann, muss sie mit den Frauen ein verpflichtendes Gespräch in einem abgetrennten Raum führen. Dabei müssen die Frauen Fragen beantworten. "Wir wollen wissen, ob die Patientin die Grundlagen der Empfängnisverhütung kennt, ob sie schwanger ist oder andere Medikamente einnimmt", erklärt die Apothekerin. Man bespreche das Thema, den Lebensstil der Frau und entscheide dann, ob sie die Pille danach einnehmen dürfe.
Zustimmung der Eltern weiter nötig
Von den rund 12.000 Apotheken in Polen besitzen allerdings nur etwa 2.000 die nötigen Räume und das Fachpersonal, um an dem Modellprojekt teilzunehmen. Davon hätten sich bislang rund 700 für das Projekt registriert, so ein Sprecher des Gesundheitsministeriums - und jeden Tag kämen neue Apotheken hinzu.
Ende Mai veröffentlichte das Ministerium eine Karte, auf dem die teilnehmenden Apotheken verzeichnet sind. Sie zeigt: In Großstädten und Ballungsräumen gibt es deutlich mehr Apotheken, die das Rezept für die "Pille danach" ausstellen, als auf dem Land. Minderjährige bekommen das Rezept allerdings auch in der Apotheke nicht ohne Zustimmung der Eltern.
Regelung reicht nicht aus
Mit der neuen Regelung ist die "Pille danach" in Polen insgesamt zwar etwas besser verfügbar. Frauenrechtsorganisationen wie "Federa" kritisieren jedoch, dass man damit immer noch weit vom europäischen Standard der Rezeptfreiheit entfernt sei. In Europa seien Polen und Ungarn die einzigen Länder, in denen eine Rezeptpflicht für die "Pille danach" gibt.
Auch für die Schülerinnen Melissa Plocharska und Wiktoria Brzyska ist klar: Das aktuelle Modell reicht nicht. "Wir erwarten, dass die 'Pille danach' allgemein verfügbar ist“, sagt Wiktoria. Es dürfe nicht von der Einstellung eines Arztes oder Apothekers abhängen, ob Frauen die "Pille danach" bekommen oder nicht, fügt Melissa hinzu. "Niemand wird unser Leben für uns leben und niemand hat das Recht, so wichtige Entscheidungen für uns zu treffen, wie eine Familie zu gründen oder ein Kind zu bekommen." Doch im Moment lassen das die politischen Kräfteverhältnisse in Polen noch nicht zu.