EU-Außenminister einig "Der Machtkampf in Moskau ist längst nicht vorbei"
Die Prigoschin-Revolte hat Russland hart getroffen - doch der Aufstand könnte auch Auswirkungen auf Europa haben. Die EU müsse sich vorbereiten, sagt der Außenbeauftragte Borrell.
Auch wenn es im Vorfeld entsprechende Hinweise der US-amerikanischen Geheimdienste gegeben haben soll - der spektakuläre Kurzaufstand der Wagner-Söldner in Russland hat die Europäische Union kalt erwischt. "Die unmittelbaren Ereignisse am vergangenen Wochenende haben wir so nicht erwartet, es gab auch keine akute Warnung" räumte der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, am Rande des Außenministertreffens am Montag in Luxemburg freimütig ein.
Immerhin: Dass sich die EU nicht zu vorschnellen Bewertungen hat hinreißen lassen, wertete Österreichs Chefdiplomat Alexander Schallenberg als großen Pluspunkt. "Was für mich das Wesentliche ist, ist die geschlossene Reaktion, die wir wieder einmal gezeigt haben, und auch die besonnene Reaktion. Dass wir nicht versucht haben, durch Interpretationen über den Äther das noch anzufeuern."
Es sei eine interne russische Angelegenheit, aber es zeige: "Es gibt Risse im russischen Gebälk, es gibt Risse im Machtgefüge, und es ist nicht alles so, wie Russland das nach außen darstellt."
Zerreißprobe für Kreml
Die Prigoschin-Revolte stelle den Kreml vor eine echte Zerreißprobe - und sie könnte für das Regime von Präsident Wladimir Putin der Anfang vom Ende sein, glaubt Finnlands neue Außenamtschefin Elina Valtonen. "In jedem autoritären Staat ist es so, dass alles sehr stabil scheint, bis eines Tages nichts mehr stabil ist. Ich gehe davon aus, dass es mit Russland auch so weitergehen wird."
Die Frage ist nur, was sich daraus ergibt. Der Machtkampf in Moskau ist nämlich noch längst nicht vorbei. Und die EU müsse sich für die möglichen Folgen wappnen, sagt der Außenbeauftragte Josep Borrell: "Es ist jetzt so wichtig wie noch nie, die Ukraine weiter zu unterstützen."
Was am Wochenende passiert ist, zeige, dass dieser Krieg die Macht Russlands erschüttere und das politische System berühre. Die wichtigste Erkenntnis sei: "Das Monster, dass Putin mit der Wagner-Gruppe geschaffen hat, richtet sich jetzt gegen seinen Schöpfer."
Gefahr für die ganze Welt
Zwar scheint sich Russlands Führung aktuell hinter Präsident Putin zu versammeln - was das aber für die Stabilität des Landes bedeutet, lässt sich Stand heute kaum beurteilen. Keine guten Aussichten, findet Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn: "Das wäre absolut gefährlich für Europa, wenn das größte Land der Welt, mit den meisten Atomwaffen der Welt, zerbröckeln würde und keiner mehr weiß, wer in Russland eigentlich das Sagen hat." Das sei eine große Gefahr nicht nur für Europa sondern auch für die Welt.
Genauso unvorhersehbar wie die weitere Entwicklung in Moskau sind die nächsten Schritte der berüchtigten Wagner-Truppe. Sollte der Söldnerchef Prigoschin seine Leute in Belarus zusammenziehen, wäre das eine Gefahr für die Sicherheit Europas, sagt Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis.
Es habe nur einen halben Tag gebraucht, um Militäreinheiten bis 200 Kilometer vor Moskau zu bringen. "Wie schnell können die wohl durch Belarus marschieren und an der Grenze von Litauen auftauchen? Wir müssen auch unsere Lage im Auge behalten und extrem ernst nehmen."
NATO und EU wappnen sich
Das tut nicht nur die EU schon lange, sondern auch die NATO, der aktuell 22 EU-Staaten angehören. Der Beitritt von Schweden steht kurz bevor. Die westliche Verteidigungsallianz hat ihre Präsenz in den östlichen Bündnisstaaten deutlich aufgestockt, die schnellen Eingreiftruppen ebenfalls.
Deutschland will 4000 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich und dauerhaft im Partnerland Litauen stationieren. Und der deutschen Initiative "Sky Shield" für ein gemeinsames europäisches Flugabwehrsystem haben sich inzwischen 17 EU-Staaten angeschlossen.
Militärisch ist Europa also schon dabei, sich auf neue Bedrohungen einzustellen. Politisch auf einen Regimewechsel in Moskau hinarbeiten will die EU aber ausdrücklich nicht. Der für starke Worte bekannte litauische Außenminister Landsbergis sagt es so: "Darüber müssen wir gar nicht erst nachdenken, denn das schaffen die Russen auch allein."