Scholz in Österreich Besuch beim "Freund aus Wien"
Grenzkontrollen im Schengenraum, Migration, Ukraine: Beim Besuch von Kanzler Scholz bei seinem österreichischen Amtskollegen Nehammer gibt es viel zu besprechen. Dabei sind die beiden nicht immer einer Meinung.
Über die Sache mit Schengen will Karl Nehammer mit Olaf Scholz unbedingt noch einmal reden. In aller Freundschaft, denn Deutschland sei "nicht nur unser Nachbarland, sondern unser Freund" - das gibt Österreichs Bundeskanzler schon auch zu Protokoll. Man ziehe "in vielen Fällen an einem Strang". Österreichisch diplomatisch heißt das: durchaus nicht immer.
Migration, vor allem die "irreguläre", das ist das Thema, das Österreichs Bundeskanzler in diesen Wochen vor allem vor sich hertreibt und das ihn umtreibt. Es könnte mit Wahlkampf zu tun haben, obwohl es zu den nächsten Nationalratswahlen, den österreichischen Parlamentswahlen, noch lange hin ist. Wenn alles wie gewohnt läuft, soll im September kommenden Jahres gewählt werden.
Streitthema Migration
Aber die Kanzlerpartei, die konservative österreichische Volkspartei (ÖVP), wähnt sich auf der Verliererstraße. Mal Platz zwei, mal Platz drei bei der "Sonntagsfrage", Kopf an Kopf mit der SPÖ. Jeweils um die 23 Prozent sind es derzeit für die auch in Österreich einst stolzen Volksparteien SPÖ und ÖVP. Beide abgeschlagen hinter der rechtspopulistischen FPÖ, der Partei der Impfgegner, Corona-Leugner und der Russland-Versteher. Denen geben die Österreicherinnen und Österreicher in den Umfragen schon seit Monaten um die 30 Prozent. Kernthema der rechten FPÖ ist die Migration - "reguläre" wie die "irreguläre".
Deshalb blockiert Österreich den Beitritt der EU-Länder Rumänien und Bulgarien zum Schengen-Raum, der offene Binnengrenzen verspricht. Die Grenzkontrollen würden weiter nach Süden verschoben. Der deutsche Bundeskanzler Scholz ist für die Erweiterung der Schengen-Gruppe um Bulgarien und Rumänien, er steht bei den Regierungschefs in Sofia und Bukarest im Wort. Nur der "Freund" aus Wien mag nicht mitziehen.
Ärger um Grenzkontrollen
Nehammer hat auch ein interessantes Argument, das in Salzburg vor großer Kulisse zum Greifen nah ist. Auch Deutschland kontrolliert an der EU-Binnengrenze zu Österreich - schon seit Monaten und bislang ohne Verfallsdatum. Aus österreichischer Sicht könnte man es auch so formulieren: Die deutsche Bundespolizei hält den Verkehr auf der Salzburger Autobahn in Richtung Bayern und Tirol auf. Auf der Bahnstrecke bei Freilassing in Richtung München und Innsbruck/Bregenz.
Weil Österreicher auf dem Weg von Wien oder Salzburg nach Tirol durchs sogenannte "deutsche Eck" fahren, ist das fast eine innerösterreichische Angelegenheit. Ärgerlich ist das zusätzlich zu den Blockaden und Verspätungen, die die Deutsche Bahn verursacht. Interessant aber für Österreichs Kanzler Nehammer, weil auch die Deutschen damit zeigen würden, "dass das Schengen-System strukturell nicht funktioniert".
Gemeinsames Wertesystem
Der deutsche Kanzler, fast genauso lange im Amt wie Nehammer, ist so oder so ein willkommener Gast. Buh-Rufe, wie beim zu freundlichen Handshake Nehammers mit dem ungarischen Autokraten Viktor Orban, sind nicht zu erwarten. Blendet man das österreichische Wahlkampfthema Migration aus, haben Nehammer und Scholz durchaus ein großes, gemeinsames Wertesystem.
Solidarität mit der angegriffenen Ukraine ist ein Gesprächsthema: Für Nehammer in den nicht endlos dehnbaren Grenzen der österreichischen Neutralität, die er für die einen zu sehr ausreizt, für die anderen zu wenig. Einige sind der Meinung, Hilfe für die Ukraine beim Minenräumen müsste eigentlich noch drin sein.
Was das Verhältnis zu Russland angeht, plagen sich beide mit Erblasten. Da gab es etwa die Gaspipeline nach Deutschland - Gerhard Schröders Gazprom-Engagement. Aber Scholz scheint der harte Schnitt nach der "Zeitenwende" gelungen.
"Putins zweitnützlichster Idiot"
Das Wirtschaftsmagazin "The Economist" hat im Juli ein Ranking mit "Putins nützlichen Idioten" erstellt - mit Österreich auf Platz zwei hinter Ungarn. Ein Tiefschlag für Nehammer und tatsächlich ungerecht. Denn es war die ehemalige FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl, deren Hofknicks vor Putin auf ihrer eigenen Hochzeit das Image Österreichs bis heute schwer ins Zwielicht schob. Es war auch der Ex-Kanzler Sebastian Kurz, unter dem der teilstaatliche österreichische Energiekonzern OMV den Gasliefervertrag mit der russischen Gazprom bis 2040 verlängerte - zu Bedingungen, die zur Folge haben, dass Österreich anders als Deutschland nicht recht von der Abhängigkeit vom russischen Gas loskommt.
Da mag ein freundlicher Händedruck des deutschen Kanzlers vor großer Kulisse im schönen Salzburg ganz gut tun. Auf "Augenhöhe", wie man das in Österreich sieht. Denn Nehammer hätte da auch einiges an "best practice" zum Vorzeigen: Das Klimaticket etwa, die Digitalisierung, keine Flugbereitschaft.