Sturgeon-Rückzug in Schottland Ihr großes Ziel bleibt unvollendet
Nach der Rücktrittsankündigung von Schottlands Premierministerin Sturgeon wird über die Gründe für den Schritt spekuliert: neben persönlichen gibt es offenbar auch politische. Ihr größtes Ziel hat sie nicht erreicht.
Acht Jahre lang war Nicola Sturgeon "First Minister", wie die Ministerpräsidentin von Schottland offiziell heißt. Seit 1999 saß sie im Regionalparlament - ein Leben, gewidmet der Politik und der Unabhängigkeit Schottlands. Deswegen ist dieser Rücktritt so überraschend, denn ihr Werk, die Loslösung aus dem Vereinigten Königreich, ist längst noch nicht vollbracht.
Am Mittag erklärte sie auf einer Pressekonferenz die Gründe für den Rücktritt. Alles deutet darauf hin, dass es persönliche Ursachen gibt, aber durchaus auch politische.
"Kann ich so weitermachen wie bisher?"
Mit tagesaktueller Politik habe das nichts zu tun, sagte die 52-Jährige. Sie sei erschöpft. "Die Frage ist doch, ob ich alles geben kann, was dieses Amt erfordert. Kann ich so weitermachen wie bisher?“ Darauf antwortete sie nicht mit einem "Ja". Es sei Teil guter Führung zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei. Natürlich gebe es gerade komplizierte Themen für die Regierung, aber wann sei dies nicht der Fall, fragte die Vorsitzende des Schottischen Nationalpartei (SNP).
Hitzige Debatte um ein Gender-Gesetz
Streit gab es gerade erst um ein Gender-Gesetz. Das schottische Parlament hatte zugestimmt, dass künftig kein medizinisches Gutachten mehr nötig ist, um einen Geschlechtseintrag zu ändern. Doch die britische Regierung blockiert das Gesetz. Sturgeon geriet in die Kritik.
Die Debatte wurde immer hitziger, auch wegen einer Transfrau, die vor ihrer Geschlechtsangleichung zwei Frauen vergewaltigt hatte und zunächst in einem Frauengefängnis untergebracht werden sollte. Spekuliert wird, ob dieser Fall möglicherweise zum Rücktritt beigetragen hat - dass eine Mischung aus stagnierenden Umfragewerten, mühsamen Tagesgeschäft, persönlichen Gründen und Unklarheiten beim richtigen Weg in die Unabhängigkeit zu Sturgeons Entscheidung geführt haben.
Unabhängigkeit Schottlands bleibt unvollendet
Sturgeon will im Amt bleiben, bis die Partei einen Nachfolger ernannt hat. Sie wird abtreten, ohne ihr großes Ziel, die Unabhängigkeit Schottlands, umgesetzt zu haben.
Sturgeon drängte besonders nach dem Brexit auf die Loslösung von Westminster. Das Argument: Die Schotten hätten mehrheitlich für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Der Brexit schade der Nation.
Doch die Umfragen derzeit sind uneindeutig. Ob die Schotten sich wirklich gegen das Vereinigte Königreich aussprechen würden, ist offen. Ein Referendum lehnt die britische Regierung ab. Eine Entscheidung des Obersten Gerichts gab der Regierung in London recht.
In Umfragen leicht abgesackt
Sturgeon wollte die nächsten allgemeinen Wahlen im Vereinigten Königreich nutzen, um Rückhalt für ihre Politik zu erhalten - die Wahlen zum Unterhaus als Kampfabstimmung über die Unabhängigkeit. Ein riskantes Manöver, dass auch in der Partei umstritten war. "Ich befreie die SNP, den Weg zu wählen, den die Partei für richtig hält." Zuletzt war die SNP in den Umfragen leicht abgesackt und konnte nicht die Werte über 50 Prozent halten.
Wer Sturgeon nachfolgt, ist offen. Mehrere Namen werden genannt, etwa Finanzministerin Kate Forbes. Bei einem Sonderparteitag im März sollte der Kurs der Partei, der Weg in die Unabhängigkeit, festgelegt werden. Nun braucht die SNP erst einmal eine neue Parteispitze. Und der Weg in die Unabhängigkeit - und wahrscheinlich auch die Bedeutung des Themas - werden neu akzentuiert.