Rahmenabkommen mit der EU Die Schweiz hat noch Redebedarf
Eigentlich ist das Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz schon ausgehandelt. Doch die Berner Regierung hat Bedenken. Bundespräsident Parmelin und Kommissionschefin von der Leyen treffen sich nun in Brüssel.
Es ist in aller Munde - in den Schweizer Medien jedenfalls ist das Rahmenabkommen mit der EU zurzeit Topthema Nummer zwei, gleich nach der Pandemie. Aber ähnlich wie Pandemiemüdigkeit hat sich auch Rahmenabkommen-Müdigkeit breit gemacht. Eigentlich ist der Vertrag, der die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU rechtlich neu regeln soll, schon lange und nach langem Ringen ausgehandelt.
Vertrag soll alles einfacher machen
Bislang sind die Beziehungen in vielen bilateralen Verträgen geregelt, die immer wieder aktualisiert werden müssen. Mit dem Rahmenabkommen soll das einfacher werden, die Verträge in einigen Bereichen automatisch an EU-Recht angepasst werden.
Bei Streitfragen soll künftig ein paritätisch besetztes Schiedsgericht entscheiden, das wiederum bei der Auslegung von EU-Recht den Europäischen Gerichtshof anrufen müsste.
So sieht es - grob gesagt - der Vertragsentwurf vor, der seit Ende 2018 auf dem Tisch liegt - beziehungsweise in der Schublade. Denn die Schweiz zaudert. Und es ist unklar, mit welchem Vorschlag Bundespräsident Guy Parmelin heute nach Brüssel reist.
Die Nachfrage eines Journalisten beantwortete Regierungssprecher André Simonazzi am Mittwoch ausweichend. Der Bundesrat bereite das Treffen aktiv vor. Es gebe aber keine Informationen, worüber Parmelin mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen wird.
Es herrscht Sorge vor Souveränitätsverlust
Je weniger von Regierungsseite zu hören ist, umso mehr beherrscht das Rahmenabkommen die öffentliche Debatte. Und der Widerstand wächst - gegen zu viel Nähe zur EU, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Es herrscht Sorge vor Schweizer Souveränitätsverlust und Angst, dass EU-Bürger vom Schweizer Sozialsystem profitieren könnten. Gewerkschaften fürchten um den Lohnschutz.
Selbst Teile der Wirtschaft distanzieren sich mittlerweile von dem geplanten Abkommen, auch wenn der Chef des Wirtschaftsverbands Economie Suisse, Christoph Mäder, relativiert: "Es ist gute Tradition in diesem Lande, dass politische Vorhaben kontrovers beurteilt werden, das gilt auch für die Wirtschaft. Aber wir dürfen doch feststellen: Den bilateralen Weg, um dessen Absicherung es hier geht, den hat die Stimmbürgerschaft mehrfach positiv bestätigt und der hat auch in der Wirtschaft die Mehrheit."
Schweiz will Änderungen
Die Opposition in der Wirtschaft gegen das Rahmenabkommen hat sich verstärkt, meint dagegen Paul Widmer, ehemaliger Diplomat. Unter anderem war er ständiger Vertreter der Schweiz beim Europarat in Straßburg. Die Schweizer Erwartungen an das Treffen heute in Brüssel beschreibt er so: "Dass man mit diesem Gespräch noch einen letzten Rettungsversuch unternehmen will. Aus schweizerischer Sicht heißt das natürlich, dass es Änderungen am Vertrag geben muss, so wie er vorliegt."
Für den Ex-Diplomaten Widmer sind weniger die immer wieder zitierten heiklen Themen das Problem - also Fragen wie der Lohnschutz, die Unionsbürgerrichtlinie oder staatliche Beihilfen - sondern "dass es wirklich um die Ausübung unserer direkten Demokratie geht", so Widmer. Dabei gebe es zwei Kernprobleme: "Erstens die dynamische Rechtsübernahme ohne eine tragfähige Schutzklausel, und zweitens die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei Streitigkeiten."
Alpenrepublik profitiert stark vom EU-Binnenmarkt
Droht nun also nach dem Brexit ein Schwexit? Ein Bruch mit der EU kann kaum im Interesse der Schweiz sein. Nach einer Studie aus dem Jahr 2019 profitiert die Schweiz mehr als jedes andere Land vom EU-Binnenmarkt - und das, ohne EU-Mitglied zu sein.
Er werde in Brüssel nicht Boris Johnson spielen, hat Bundespräsident Parmelin vor ein paar Tagen in einem Zeitungsinterview gesagt. Anders als beim Brexit wolle die Schweiz ja "nicht aus einem Abkommen aussteigen, sondern eine Lösung finden, um es weiter zu entwickeln." Welche Lösung das sein soll, hat er nicht verraten.