Nachhaltige Ernährung Spanien zofft sich ums Fleisch
In Spanien tobt eine Art Glaubenskrieg: Verbraucherminister Garzon kritisiert den Fleischkonsum - und gerät ins Kreuzfeuer der Kritik. Dabei ist sich die Regierung eigentlich einig, dass die Branche nachhaltiger werden soll.
Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sanchez nennt sich selbst einen Feministen, und hat beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz wieder einmal beteuert, dass er Spanien zu einem nachhaltigeren Land machen will. Vegetarier ist er deswegen aber noch lange nicht: "Ein medium gebratenes T-Bone - unschlagbar", sagt der Regierungschef.
Verbraucherminister mit Image-Problem
Sanchez' Bekenntnis zum Fleischgenuss erfolgte kurz nachdem sein Verbraucherminister Alberto Garzon vom kleinen linksorientierten Koalitionspartner Unidas Podemos festgestellt hatte, dass die Spanierinnen und Spanier erheblich mehr Fleisch essen als von der WHO empfohlen: "Empfohlen werden 200 bis 400 Gramm - in Spanien isst man ein Kilo Fleisch pro Kopf und Woche." Das sei ungesund und wegen der Treibhausgase aus der Massentierhaltung schlecht fürs Klima, so Garzon.
Einen Shitstorm aus dem Sommer hat der Verbraucherminister überlebt, sich aber nicht bekehren lassen. Jetzt hat das Branchenblatt "Carnica" - frei übersetzt "Fleischiges" - ein Interview mit dem Minister auf diese Schlagzeile gebracht:
"Garzon sagt im Guardian, Spanien exportiere minderwertiges Fleisch von misshandelten Tieren."
Eine massive Verkürzung des Interviews - denn Garzon argumentiert zwar gegen Megabetriebe mit Tausenden bis Zehntausenden Tieren, lobt aber gleichzeitig die traditionelle Weidehaltung.
Auf Stimmenfang in ländlichen Regionen
Für die Opposition ist es trotzdem ein gefundenes Fressen. Denn in Kastilien-Leon stehen Regionalwahlen an, man wittert Wählerstimmen im ländlichen Raum. "Rücktritt", ruft also die konservative Volkspartei, und deren Parteivorsitzende Pablo Casado nimmt industrielle Megabetriebe in Schutz: "Es gibt strenge Vorschriften für Megabetriebe, keine Tierquälerei, und das Fleisch ist auch nicht giftig", sagt er.
Der Wahlkampf-Bildtermin des Konservativen - ausgerechnet auf einer Extensivweide - ist natürlich leicht durchschaubar. Aber auch der sozialistische Regionalpräsident einer anderen ländlichen Region, Kastillien-La Mancha, weiß, worum es bei den Themen Fleischkonsum, Massentierhaltung, Tierwohl und Klimaproblematik wirklich geht: An der landwirtschaftlichen Industrie in Spanien hängen Abertausende Jobs und Wählerstimmen.
"Nur seine Privatmeinung"
Die werden nicht nur nächsten Monat bei den Regionalwahlen gebraucht - die Mitte-Links Koalition bräuchte sie auch dringend in zwei Jahren bei den Parlamentswahlen. Schöner wäre es aus Sicht der Sozialisten aber, wenn der Juniorpartner Unidas Podemos bestenfalls ein kleiner Juniorpartner bliebe. Also stellt die sozialistische Regierungssprecherin Isabel Ródriguez klar, der linke Verbraucherminister habe nur seine Privatmeinung zum Besten gegeben. Gesetzentwürfe beschließe das Kabinett, fügte die Sprecherin hinzu.
Was sie nicht sagte: Klimaschutz - und damit nachhaltige Entwicklung auch der Landwirtschaft - steht längst im Koalitionsvertrag. Das verpflichte die Regierung als Ganzes, ruft Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Diaz, Parteifreundin des Verbraucherministers, in Erinnerung, und mahnt: "Pflegen wir also unsere Koalition, auch in der Wahl der Worte."
Neue Kennzeichungspflicht für Lebensmittel?
Nur ein bis drei Prozent der spanischen Mastbetriebe seien industrielle Großbetriebe, rechnet der Bauernverband vor. Greenpeace hält dagegen: Mehr als 90 Prozent des produzierten Schweinefleischs komme aus Massentierhaltung. Manche Interessengemeinschaften kleinerer Höfe schlagen jetzt ein Pflichtetikett mit der Herkunft vor - egal, ob Serrano oder Chuletón.