Besuch in der Türkei Steinmeier würdigt Beitrag der Türken in Deutschland
Es ist der erste Türkei-Besuch von Bundespräsident Steinmeier seit seinem Amtsantritt. Dabei geht es ihm auch um ein besonderes Kapitel deutsch-türkischer Geschichte. Der Auftakt der Reise wurde jedoch von lautem Protest gestört.
Zum ersten Mal seit zehn Jahren ist ein Bundespräsident in die Türkei gereist: Drei Tage wird Frank-Walter Steinmeier am Bosporus verbringen. Zum Auftakt seines Besuchs würdigte Steinmeier die Lebensleistung türkischer Migranten in Deutschland und ihren Beitrag zum deutschen Wohlstand.
Heute lebten in Deutschland fast drei Millionen türkischstämmige Menschen, "die unsere Gesellschaft mitprägen, mitgestalten", sagte der Bundespräsident bei einem Besuch am Istanbuler Bahnhof Sirkeci, von wo aus seit 1961 Hunderttausende Türkinnen und Türken als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland aufgebrochen sind. "Sie haben unser Land mit aufgebaut, sie haben es stark gemacht und sie gehören ins Herz unserer Gesellschaft."
Steinmeier erinnerte in seiner Rede später daran, dass die deutsch-türkische Migrationsgeschichte auch in die entgegengesetzte Richtung verlaufen sei. Im 19. Jahrhundert hätten Armut und Arbeitslosigkeit Handwerker aus Deutschland nach Anatolien getrieben. Und in der Zeit des Nationalsozialismus sei die Türkei ein Zufluchtsort für viele deutsche Künstler und Intellektuelle geworden.
Hunderttausende Gastarbeiter für Deutschland
"Während Deutsche in den 1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die neue Hauptstadt Ankara mitentwarfen und -bauten, waren es die Gastarbeiter aus der Türkei, die seit den 1960er Jahren die Wirtschaft der jungen Bundesrepublik mit aufbauten und die in mittlerweile vier Generationen entscheidend zu unserem Wohlstand beitragen", sagte Steinmeier.
Die Regierungen in Bonn und Ankara hatten 1961 ein Anwerbeabkommen unterzeichnet. Auf dessen Basis kamen nach Angaben des Auswärtigen Amts etwa 876.000 Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Viele der sogenannten Gastarbeiter holten ihre Familien nach und blieben für immer. Die Geschichten türkisch-deutscher Einwanderer seien Teil unserer Geschichte, sagte Steinmeier. "Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund - Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund."
Dönerspieß als Symbol für den Beitrag türkischer Migranten
Um die Geschichten der damaligen Gastarbeiter nachzuzeichnen, hatte Steinmeier eine Reihe von Gästen mit türkischen Wurzeln eingeladen, ihn zu begleiten. Am meisten Aufsehen erregte dabei der Gastronom Arif Keles, der in Berlin in dritter Generation einen Dönerimbiss betreibt. Er nahm sogar einen 60 Kilo schweren und tiefgefrorenen Dönerspieß samt Soßen und anderen Zutaten im Flugzeug mit nach Istanbul, um ihn am Abend bei einem Empfang in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters zu servieren.
Der Döner sei im kulinarischen Bereich ein Beispiel dafür, wie sehr Deutschland und die Türkei zusammengewachsen seien, sagte Steinmeier. "Ich esse auch gern einen."
Offizieller Anlass des Besuchs ist der 100. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und der Republik Türkei.
Treffen mit Erdogan erst am Mittwoch
Steinmeiers erster Gesprächspartner in der Türkei war Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu, der einer der populärsten Oppositionspolitiker in der Türkei ist. Viele regierungskritische Türken sehen in Imamoglu einen Hoffnungsträger - und einen möglichen künftigen Präsidenten.
Mit dem amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan wird Steinmeier erst am dritten Tag seines Besuches in der Hauptstadt Ankara zusammentreffen. Bei den jüngsten Kommunalwahlen hatten Wähler Erdogan und seiner Partei einen Denkzettel verpasst. Erstmals wurde die AKP nicht mehr stärkste Kraft im Land. Stattdessen triumphierte landesweit die größte Oppositionspartei CHP, der auch Imamoglu angehört.
Die bilateralen Beziehungen auf Regierungsebene sind seit Jahren schwierig. Deutschland sieht Defizite bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei. Auf derartige Kritik aus Deutschland reagierte Präsident Erdogan in den vergangenen Jahren regelmäßig mit unverhohlener Verärgerung.
Lautstarker pro-palästinensischer Protest
Zu den aktuellen außenpolitischen Differenzen zählt die Bewertung der Lage im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Erdogan unterstützt die militant-islamistische Hamas im Gazastreifen, erst am Wochenende empfing er Hamas-Auslandschef Ismail Hanija. Die EU stuft die Hamas als Terrororganisation ein.
Die Demonstranten zeigten unter anderem Plakate, auf denen nebeneinander Porträts von Steinmeier und Adolf Hitler zu sehen waren.
Steinmeiers Besuchsauftakt am Bahnhof von Sirkeci wurde lautstark von einer Gruppe pro-palästinensischer Demonstranten gestört. Die etwa 50 Männer und Frauen skandierten auf einem Bahnsteig aus gut 50 Metern Entfernung Parolen wie "Mörder Deutschland" und "Genozidunterstützer" und zeigten Plakate, auf denen nebeneinander Porträts von Steinmeier und Adolf Hitler sowie der blaue Davidstern und ein rotes Hakenkreuz zu sehen waren.
Sicherheitskräfte konnten sie nicht abdrängen. Steinmeier setzte seinen Rundgang durch den Bahnhof aber unbehindert fort.