Treffen mit Belgorod-Kämpfern "Wir sind friedliebende Befreier"
Sie drangen von der Ukraine aus auf russisches Staatsgebiet vor - und überrumpelten offenbar dort die Verantwortlichen: Andrea Beer hat mit den beteiligten Kämpfern gesprochen - unter ihnen ein einflussreicher Neonazi.
Sie posieren gemeinsam vor Journalistinnen und Journalisten im Nordosten der Ukraine, an einem Ort, an dem auch die ukrainische Armee trainiert und der nicht genannt werden darf: die Mitglieder der sogenannten "Legion Freiheit für Russland" und des sogenannten "Russischen Freiwilligencorps".
Sie stehen rund um ein gepanzertes Fahrzeug sowjetischen Typs, das sie russischen Grenztruppen abgenommen haben wollen. In voller Montur mit Sturmgewehren, einige maskiert, halten sie ihre jeweiligen Fahnen in die Höhe.
Russischer Neonazi an Belgorod-Aktion beteiligt
Reden dürfen nur zwei der Männer - und den Anfang macht Denis Kapustin, der ganz in schwarz gekleidete berüchtigte Chef des "Russischen Freiwilligencorps" und ein in der rechtsextremen Szene als einflussreich geltender Neonazi mit russischem Pass. Vor Jahren hat er das Neonazi-Modelabel "White Rex" gegründet, das laut "Spiegel" und dem Rechercheverbund WDR, NDR und "SZ" die Neonazi-Kampfsport-Szene europaweit mit professionalisierte.
Das Logo prangt nun auch auf Kapustins schwarzer Schildmütze. Der Mann sei eine Schlüsselfigur des militanten Neonazismus auf europäischer Ebene, schrieb der Rechtsextremismus-Experte Robert Claus diese Woche auf Twitter. Auf dem Pressetermin im Nordosten der Ukraine sagte Kapustin der ARD: "Ich bin ziemlich traditionell geprägt, rechtskonservativ. Ich verstehe nicht, warum das heutzutage eine Beleidigung ist in der Welt."
Der gebürtige Moskauer zog Anfang der 2000er-Jahre nach Deutschland. Später ging er dann nach Russland zurück, und seit einigen Jahren lebt er in der Ukraine. Sein Aufenthaltstitel in Deutschland erlosch nach Angaben des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2019. Gegen ihn sei wegen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot im Schengenraum verhängt worden, teilte das Ministerium auf Anfrage von tagesschau.de mit. Bei der Pressebegegnung im Nordosten der Ukraine dirigiert Kapustin die Medien, die ihn umlagern, selbstbewusst, fast herrisch.
Zwei Tote, zehn Verwundete, ein russischer Gefangener
Allein das Überschreiten der Grenze zu Russland in die Region Belgorod sei ein Erfolg, so Kapustin. 24 Stunden seien sie dort gewesen. Zwei Tote und zehn Verwundete gebe es, so seine Bilanz, und nicht 70, wie die russische Propanda behaupte.
Das "Russische Freiwilligencorps" sei im August 2022 gegründet worden. Einige Mitglieder seien aber bereits seit dem Kriegsbeginn 2014 im Donbass gegen Putins Russland aktiv. Die ukrainische Armee würde sie unterstützen, behauptet Kapustin, und zwar mit Benzin, Medizin, Informationen, Nahrungsmitteln und sogar dem Versorgen von Verwundeten. "Was ist mit Waffen?“, fragt einer der Journalisten.
"Die Waffen sind unsere Waffen, wenn wir die auf ukrainischem Boden bekommen. Sind das ukrainische Waffen? Oder unsere Waffen? Schwer zu sagen", antwortet er.
Alles innerhalb der Staatsgrenzen der Ukraine werde mit dem ukrainischen Militär koordiniert. "Sonst wären ja Russen mit Maschinengewehren durch die Ukraine gerannt", so Kapustin. "Alles, was wir jenseits der Grenze tun, entscheiden wir selbst", sagt er weiter.
Befreiung Russlands als langfristiges Ziel
Das genügt, wird dann von den Organisatoren entschieden. Nun solle man mit Cäsar sprechen, dem Vizekommandeur der sogenannten "Legion Freiheit für Russland“. Über diese Gruppierung ist wenig bekannt. Sie soll unter anderem aus Nationalisten und ehemaligen russischen Armeeangehörigen bestehen.
Auch über Maximilian Andronnikow alias Cäsar weiß man öffentlich wenig. Er soll - laut unabhängigen russischen Medien - zumindest eine nationalistische Vergangenheit haben. Und er will das Putin-System stürzen.
Den russischen Angriff auf die Ukraine nennt Andronnikow eine Tragödie. Er trägt Tarnuniform und Pferdeschwanz und beschreibt seine Gruppierung so: "Wir sind Befreier, friedliebende besorgte russische Staatsbürger und Befreier unseres Heimatlandes. Wir verteidigen die Ukraine und haben einige Monate in und um Bachmut gekämpft. Vor allem wollen wir die Ukraine vor der Aggression unseres Landes beschützen."
Wenn alle Gebiete befreit seien, wolle man ernsthaft daran gehen, Russland zu befreien, so Andronnikow. Die Auskünfte bleiben vage und viele Fragen sind am Ende offen. Der Einsatz dauere an und weitere Aktionen seien geplant - das sagen sowohl Andronnikow als auch Kapustin.
Kiew dementiert jede Beteiligung
An der Aktion in der Region Belgorod seien keine ukrainischen Soldaten beteiligt gewesen, hieß es unisono im offiziellen Kiew. Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sprach von einer "bewaffneten Guerillabewegung", mit der man nichts zu tun habe. Es seien russische Staatsbürger, und Panzer würden in jedem russischen Militärladen verkauft.
Damit spielte er auf eine Behauptung des russischen Präsidenten aus dem Jahr 2014 und die rechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim an. Putin sagte damals, bei den Soldaten auf der Krim handele es sich um lokale Bürgerwehren - und russische Uniformen seien ja in jedem Militärladen zu kaufen.