Ein Jahr Fünfer-Koalition in Prag Stabil im Inneren, zu still nach außen
Eine Koalition aus gleich fünf Parteien: Tschechiens Regierung um Ministerpräsident Fiala trotzt internationalen Krisen. Der Stil des Kabinetts ist nüchtern. Beobachter wünschen sich mehr Kommunikation.
Im Wahlkampf war er noch als der "trockene Politik-Professor aus Brünn" verspottet worden. Nach einem Jahr als Premierminister vergleicht sich Petr Fiala schon mit Superman und Co. "Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Actionfilm. Es kommen Herausforderungen, es kommen unerwartete Dinge. Und jedes Mal, wenn wir als Regierung etwas geschafft haben, kommt etwas Neues dazu."
Geschafft hat Fiala auf jeden Fall eines: Nach der Wahl hat er zügig eine Koalition aus zwei unterschiedlichen Bündnissen geschmiedet. Den konservativen Block führt seine ODS-Partei an, im liberalen Bündnis stehen die Piraten ideologisch gesehen am weitesten entfernt. Verbunden hat die fünf Parteien der Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner: den damaligen Ministerpräsidenten und Milliardär Andrej Babis. Diese Fünfer-Koalition hat Fiala ein Jahr lang zusammengehalten. Ein Minister musste im Zusammenhang mit einem Korruptionsskandal zurücktreten, aber man kommt ohne die sonst üblichen Streitereien aus.
Werte von Vaclav Havel
"Ich muss das loben", sagt der Politikwissenschaftler Jan Kubacek. "Die Regierung handelt sehr kohärent. Vor allem in den ersten Wochen des russischen Einmarsches in die Ukraine hat Fiala die Situation hervorragend gemeistert, nicht nur was seine Persönlichkeit betrifft, sondern auch kommunikativ."
Nicht einmal drei Wochen nach Kriegsbeginn stieg Fiala zusammen mit den Regierungschefs aus Polen und Slowenien in einen Sonderzug nach Kiew, um der Ukraine persönlich den Beistand seines Landes und der EU zu versichern. Für viele war das eine Sternstunde der tschechischen Außenpolitik und ein Beweis für die angekündigte Wende weg von Wirtschaftsinteressen - zurück zu den Werten von Vaclav Havel.
Auf den früheren Präsidenten berief sich die konservativ-liberale Regierung auch während der EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres. Auf der Prager Burg organisierte Fiala das erste Treffen im Format der Europäischen Politischen Gemeinschaft und einen EU-Gipfel. Er erhält Lob für seinen Vorsitz.
Ministerpräsident Fiala hat nach der Wahl zügig eine Koalition geschmiedet aus zwei unterschiedlichen Bündnissen.
Umfragewerte der Oppositionspartei ANO gestiegen
In Tschechien ist das Echo verhaltener. "Es geht nicht darum, was im Ausland über ihn gesagt wird, sondern darum, was wir über ihn sagen. Und ich denke, das allgemeine Gefühl in diesem Land ist, dass dies die erfolgloseste Regierung seit 1989 ist", so Kubacek. Ganz ähnlich wie der frühere Premier und Präsident Vaclav Klaus äußert sich auch Andrej Babis, der Chef der abgewählten Minderheitsregierung und Vorsitzender der größten Oppositionspartei ANO. Deren Umfragewerte sind gestiegen; Babis selbst hat im Januar Chancen, den scheidenden Präsidenten Milos Zeman abzulösen.
Die Fünfer-Koalition hätte derzeit keine Mehrheit im Parlament. Fiala reagierte zögerlich auf regierungskritische und prorussische Proteste seit dem Herbst. Weitere Hilfspakete gegen die hohen Energiepreise folgten. Beobachter wie Kubacek kritisieren allerdings Inhalt und Stil. "Ich war überrascht, denn am Anfang war Fiala die ganze Zeit präsent, hat die Situation erklärt und versucht, die Lage zu beruhigen. Ich habe erwartet, dass er die Herausforderung in diesem Bereich genauso annimmt", sagt Kubacek.
Nüchterner Stil
Das neue tschechische Kabinett hatte wenig Zeit sich einzuarbeiten und wenig Regierungserfahrung. Nach dem wankelmütigen Populisten Babis hat sie einen neuen nüchternen Stil in die Prager Politik getragen. Lernen könnte sie allerdings von den Kommunikationsexperten ihres Vorgängers - das könnte die Bilanz in der B-Note deutlich verbessern.