Krieg gegen die Ukraine Fast ein Drittel der Bevölkerung auf der Flucht
Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine mussten laut UN-Flüchtlingshilfswerk fast ein Drittel der Ukrainer ihr Zuhause verlassen. Zum Unabhängigkeitstag am Mittwoch wird mit neuen schweren Angriffen gerechnet.
Seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar sind nach Angaben der Vereinten Nationen fast ein Drittel der 44 Millionen Einwohner der Ukraine aus ihrem Zuhause vertrieben worden. "Es ist die größte Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs", teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mit. Die Menschen stünden nun angesichts des ungewissen Fortgangs des Krieges sowie der Sorge vor dem Winter vor einer "enormen Herausforderung".
Durch massive Verwüstungen in Städten und Zerstörung der zivilen Infrastruktur können in der Ukraine weiter viele Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen. Dazu gehört die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten.
Nichts sei mehr so wie vor dem brutalen Überfall auf die Ukraine, sagte der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe Deutschland, Peter Ruhenstroth-Bauer. "Die Menschen haben ihren Mut dennoch nie verloren - auch dank der Unterstützung und Solidarität der deutschen Zivilgesellschaft." Die UNO-Flüchtlingshilfe ist der deutsche Partner des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und fördert die Nothilfe in der Ukraine.
Frauen und Kinder besonders gefährdet
Dem Hilfswerk zufolge wurden seit Kriegsbeginn mehr als elf Millionen Grenzübertritte aus der Ukraine registriert, innerhalb des Landes seien 6,6 Millionen Menschen auf der Flucht. 4,7 Millionen Menschen hätten seit Ende Februar die Grenze Richtung Ukraine überquert.
Rund 90 Prozent der Geflüchteten in den vergangenen sechs Monaten sind demnach Frauen und Kinder. Um sie zu schützen, sei die Informationskampagne "stay safe" ins Leben gerufen worden, die über die Gefahren von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung aufkläre. Gleichzeitig würden in den Transitregionen sogenannte "Blue Dots" eingerichtet - sichere Räume, in denen Familien, Kinder und besonders gefährdete Geflüchtete für kurze Zeit Schutz und Hilfe erhalten.
Der UNHCR unterstützt nach eigenen Angaben die Behörden in den Nachbarländern der Ukraine bei der Registrierung von Neuankömmlingen. Dies erleichtere es, die am stärksten gefährdeten Gruppen und Personen mit besonderen Bedürfnissen zu identifizieren, etwa unbegleitete Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Personen, die von einer Vertreibung besonders bedroht sind.
Keine Großveranstaltungen zum Unabhängigkeitstag
Vor dem ukrainischen Unabhängigkeitstag am Mittwoch befürchten die Behörden verstärkte russische Raketenangriffe auf Kiew. In der ukrainischen Hauptstadt wurden alle Großveranstaltungen verboten. Von Montag bis Donnerstag dürften keine öffentlichen Großveranstaltungen, Kundgebungen und andere Zusammenkünfte stattfinden, hieß es. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Wochenende gewarnt, dass Russland zum 31. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion am 24. August, der diesmal auch den Beginn der russischen Invasion vor sechs Monaten markiert, "etwas besonders Bösartiges" tun könnte.
Die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw im Nordosten des Landes weitete die wegen der andauernden russischen Angriffe verhängten nächtliche Ausgangssperre auf 16 bis 7 Uhr (Ortszeit) aus, wie die örtlichen Behörden mitteilten. Die Regel gelte zunächst von Dienstag bis Donnerstag. In Mykolajiw im Süden der Ukraine, das nahe russisch besetztem Territorium liegt, ordnete Gouverneur Witaly Kim an, dass die Menschen am Dienstag und Mittwoch möglichst von zu Hause aus arbeiten sollten. Größere Menschenansammlungen sollen zudem vermieden werden.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Erneut Angriffe nahe Saporischschja gemeldet
Auch die Kämpfe im Gebiet des größte europäischen Atomkraftwerks in Saporischschja hielten an. Die Ukraine warf Russland erneut vor, für den Beschuss verantwortlich zu sein. Über Nacht seien durch russische Raketensalven in der Stadt Nikopol sowie in den nahe gelegenen Bezirken Kriwji Rih und Synelnykowsky mindestens vier Menschen verletzt worden, teilte der Gouverneur der Region, Walentyn Resnitschenko, auf Telegram mit. Nikopol liegt auf der anderen Seite des Flusses Dnipro gegenüber dem russisch besetzten Enerhodar, wo sich das AKW befindet.
Wegen der Kämpfe rief Russland erneut den UN-Sicherheitsrat an. Das Land - eines der fünf Ständigen Mitglieder - beantragte in New York eine Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums für Dienstag, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Diplomatenkreisen erfuhr. Die Regierung in Moskau begründete dies mit einem "anhaltenden Beschuss und der Angriffe von ukrainischen Kräften auf die Anlage".
Russland und die Ukraine haben sich wiederholt vorgeworfen, das Gebiet des Atomkraftwerks zu beschießen. Das AKW wird seit März von russischen Truppen besetzt, aber noch von ukrainischen Technikern betrieben. Die Ukraine wirft Russland vor, das Gelände als Stützpunkt zu nutzen, um dort Waffen zu lagern und Angriffe vorzubereiten. Die Regierung in Moskau weist dies zurück. Unabhängig überprüfen lässt sich das derzeit nicht. Die Ukraine meldete zudem einen russischen Raketenangriff auf das südwestlich gelegene Wosnesensk, das nicht weit vom zweitgrößten AKW des Landes entfernt ist.