Krieg in der Ukraine Russischer Rückzug aus Charkiw
Wochenlang wurde Charkiw vom russischen Militär bombardiert. Nun ziehen sich die Truppen wohl zurück, meldet die Ukraine. In Donezk und Luhansk wird dagegen weiter heftig gekämpft. Im Asow-Stahlwerk hoffen Verletzte auf Rettung.
60 Menschen will die Ukraine demnächst aus dem Asow-Stahlwerk in Sicherheit bringen - 22 mehr als am Freitag angekündigt. Die ukrainische Vizepremierministerin Irina Wereschtschuk führte gegenüber ukrainischen Medien aus, es ginge dabei um Schwerverletzte und Mediziner. 60 also von vermutlich 600 Verwundeten.
Die Verhandlungen über die Asowstal-Evakuierung scheinen zäh zu verlaufen. Für die Kämpfer, darunter auch welche aus dem umstrittenen Asow-Regiment, gibt es bisher keine Lösung. Sie leisten trotz Beschuss' Widerstand und lehnen ein Aufgeben ab. Das fordert aber die russische Seite weiter.
Der Militäranalyst Oleg Schdanow sagt dazu: "Für Putin ist das eine prinzipielle Frage, wie ich das verstehe. Denn gerade das Asow-Bataillon hatte die russischen Truppen 2014 daran gehindert, Mariupol einzunehmen. Die Stadt blieb unter ukrainischer Flagge. Und offenbar versucht er sich nun am Bataillon dafür zu rächen. Obwohl es längst nicht dasselbe Bataillon ist, sondern ein Regiment der Nationalgarde, eine reguläre Militäreinheit."
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Herausholen durch Dritte verlangt
Einigen Asow-Vertretern werden nationalistische Tendenzen nachgesagt. Russland sieht in ihnen daher seinen erklärten Feind in diesem Krieg.
Die eingekesselten Kämpfer verlangen ein Extraction-Verfahren, ein Herausholen durch Dritte. Die Soldaten haben sich bereits an Griechenland und die Türkei gewandt, Papst Franziskus und den US-Unternehmer Elon Musk um Hilfe gebeten. Auch die Bemühungen der ukrainischen Regierung blieben erfolglos.
Aufatmen für Zivilisten in Charkiw
Aus dem Nordosten des Landes kommen dagegen gute Nachrichten. In der gebeutelten Region Charkiw verdrängen die ukrainischen Truppen ihre Gegner offenbar Richtung russische Grenze.
Russland scheint dort die Einheiten aber auch abzuziehen - möglicherweise, um sie in den Donbass zu verlegen. Inzwischen ist wohl die Stadt Charkiw außer Reichweite der russischen Artillerie. Ein Aufatmen für Zivilisten ist in Sicht.
Selenskyj stolz über Befreiung etlicher Siedlungen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nicht ohne Stolz von der Befreiung etlicher Siedlungen - überall in den besetzten Gebieten, aktuell vor allem rund um Charkiw.
"Stand heute sind schon 1015 Ortschaften befreit", so Selenskyj. "Sechs alleine am vergangenen Tag. Wir bringen dorthin die Strom- und Wasserversorgung zurück, die Telekommunikation wird wieder hergestellt. Öffentliche Verkehrsmittel und soziale Dienstleistungen werden wieder verfügbar."
Unabhängig überprüfen lassen sich die angeblichen Erfolge nicht. Die ukrainische Darstellung deckt sich jedoch mit den Erkenntnissen des Institute for the Study of War, das das aktuelle Kriegsgeschehen analysiert.
Russische Offensive in Donezk und Luhansk hält an
In den Gebieten Donezk und Luhansk hält die russische Offensive dagegen weiter an. Beschuss meldet der ukrainische Generalstab entlang der gesamten Frontlinie.
Viktor Andrussiw, der Berater des ukrainischen Innenministers, sagt über die Strategie der russischen Truppen: "Momentan läuft die dritte Phase des Krieges an. In der ersten hatten sie versucht, uns innerhalb weniger Tage zu erobern. In der zweiten wollten sie unsere Truppen im Osten umzingeln. Jetzt, in der dritten Phase, bereiten sie sich darauf vor, die Stellungen zu verteidigen, die sie erreichen konnten. Das zeugt davon, dass sie auf einen langen Krieg abzielen. Sie bauen darauf, dass die Krisen infolge des Krieges den Westen an den Verhandlungstisch bringen. Und dass der Westen uns gegen etwas eintauscht."
Lebensmittelkrise kündigt sich an
Eine Krise kündigt sich schon an - die Lebensmittelkrise. Weil russische Schiffe ukrainische Häfen blockieren, können Lieferungen nicht erfolgen. Beim G7-Treffen der Außenminister sprach Annalena Baerbock deshalb von einem "Nahrungsmittel-Krieg".
Wie lange der Krieg insgesamt noch andauere, wisse derzeit niemand, sagte Selenskyj. Man tue jedoch alles, um ihn zu verkürzen und sei weiter auf die Hilfe der freien Welt angewiesen.
Ukraine will besetzte Gebiete zurückerobern
Das Pentagon warnte: In den USA müsse das Land-Lease-Programm bis zum 19. Mai durch den Senat, sonst könne es zu Unterbrechungen bei den Waffenlieferungen kommen.
Mit westlichen Haubitzen, Panzern und Raketensystemen will die Ukraine die russisch besetzten Gebiete vollständig zurückerobern, daran lässt Selenskyj keinen Zweifel. Der Aufklärungsdienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums will die Befreiung bis Ende des Jahres ausgerechnet haben.