Chassiden in Uman während des Gebets
reportage

Rosch ha-Schana in der Ukraine Neujahrsfest zwischen den Kriegen

Stand: 04.10.2024 21:08 Uhr

Zum jüdischen Neujahrsfest haben sich Pilger aus aller Welt im ukrainischen Uman versammelt. Dort befindet sich das Grab von Rabbi Nachman, einem wichtigen Vertreter des Chassidismus. Zehntausende sind gekommen - trotz des Krieges.

Von Andrea Beer, ARD Kiew

Das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana versetzt die Stadt Uman auch in diesem Jahr in einen Ausnahmezustand. In einem abgesperrten Bereich rund um das Grab von Rabbi Nachman wird gesungen, gebetet und getanzt. Der 1810 in Uman gestorbene Rabbi wird von den Anhängern des Chassidismus - einer ultraorthodoxen Strömung des Judentums - weltweit glühend verehrt. Mehr als 30.000 Chassiden pilgerten nach Angaben ukrainischer Behörden in diesem Jahr in Stadt rund 200 Kilometer südlich von Kiew.

Der gebürtige Amerikaner Daniel lebt seit Jahrzehnten in Jerusalem und war bereits zum zwölften Mal an Rosch ha-Schana in Uman. Das sei ein einzigartiges Erlebnis, weil Juden aus aller Welt kämen, so Daniel. Aus dem Jemen, Marokko, Ägypten, Frankreich oder Südafrika.

Mehrere Männer riechen während des jüdischen Neujahrfestes im ukrainischen Uman an Minzezweige

Zu Rosch ha-Schana sind Minzzweige ausgelegt.

Schwierige Anreise in die Ukraine

"Das Besondere ist, dass Rabbi Nachman ganz unterschiedliche Gläubige anzieht", so Daniel. Die meisten Pilger seien jedoch aus Israel und die Anreise sehr schwierig gewesen. Seit dem Beginn der russischen Vollinvasion sind Flüge in die Ukraine aufgrund russischer Angriffe nicht möglich. Die jüdischen Pilger flogen beispielsweise nach Polen oder Rumänien und stiegen dann in einen Zug oder einen Reisebus.

"Wir nehmen lange Wege gerne auf uns", erzählt ein Mann Anfang 40 mit schwarzer Samt-Kippa und kurzen dunklen Schläfenlocken aus Tel Aviv. "Hier ist Krieg und in Israel auch. Aber wir wollen kommen. Denn Rabbi Nachman ist der Größte."

"Wir beten für Frieden in der Ukraine" - das steht auf einem blau-gelben Plakat über dem Eingang zu Rabbi Nachmans Grab auf Ukrainisch und Hebräisch. An kleinen Tischen wird Suppe ausgegeben, auf anderen sind saftgrüne Minzezweige ausgelegt. Ein paar Männer riechen daran. "Das ist Gottes Segen", sagt einer zufrieden.

Jüdisches Leben ist allseits präsent

Das öffentliche Feier an Rosch ha-Schana in Uman ist auch in diesem Jahr nur Männern und Jungen vorbehalten. Viele gekleidet in einen schwarzen oder festlich weiß schimmernden Kaftan, dazu meist schwarz oder weiß gehäkelte Kippas oder dem großen braunen Pelzhut, dem Schtreimel. Jüngere Pilger tragen aber auch Baseballkappen, Turnschuhe und sind tätowiert.

Mitreisende Frauen und Mädchen sind in Uman nur als Zaungäste präsent. Etwa auf den Balkonen der mehrstöckigen Häuser, die wie jedes Jahr an die Pilger vermietet werden. Zudem hängen Anzeigen auf hebräisch an Hauswänden, Bäumen, Zäunen oder in Geschäften. Mit Informationen über Handytarife, Busabfahrtszeiten oder Übernachtungen. "Wir sind am nächsten bei Rabbi Nachman", so die Reklame eines Hostels.

Ein Plakat mit der Aufschrift "Wir beten für Frieden in der Ukraine" ist über dem Eingang zu Rabbi Nachmans Grab in Uman zu sehen

Auf einem Plakat über dem Eingang zu Rabbi Nachmans Grab steht auf Ukrainisch und Hebräisch: "Wir beten für Frieden in der Ukraine".

Sirenen warnen vor russischen Angriffen

Auch während Rosch ha-Schana warnen die Behörden vor russischen Angriffen mit Raketen und Drohnen. "Es herrscht Krieg bei uns", betont Soja Wowk, Polizeisprecherin der Region Tscherkassy. Auch für die jüdischen Pilger gilt die Sperrstunde, Gepäckstücke werden streng kontrolliert. Alkohol, Waffen, waffenähnliche Gegenstände und Pyrotechnik sind verboten. Außer Sanitätern und Katastrophendienst ist Polizei aus mehreren Regionen im Einsatz, darunter Sprengstoffexperten, eine Reiter- und eine Hundestaffel. Zwischenfälle habe es nicht gegeben, so Wowk

Zum Sicherheitskonzept gehören auch Übersetzer an den Kontrollpunkten sowie 16 Polizisten aus Israel, die die ukrainische Polizei unterstützten. So etwa Roman Perzew aus Tel Aviv. Er wurde in Belarus geboren, studierte in Kiew und wanderte dann nach Israel aus. Viele im Team seien aus der ehemaligen Sowjetunion, sagt der 42-Jährige. Sprache und Kommunikation seien die größten Stärken. "Wir können nicht nur übersetzen, sondern auch erklären, warum israelische Chassiden dieses oder jenes tun. Manchmal hilft es bestimmte Situationen zu klären."

Ein Mann trägt während des jüdischen Neujahrsfestes in Uman ein traditionelles Widderhorn

Vielerorts ist in Uman zum jüdischen Neujahrsfest auch das traditionelle Widderhorn zu sehen - und zu hören.

An vielen Ecken erklingt das traditionelle Widderhorn, Daniel aus Jerusalem hat ebenfalls eines dabei. Zum jüdischen Neujahrfest wünsche er sich, dass der Messias kommen und der Welt Frieden bringen solle. "Rabbi Nachman hat gesagt, wenn der Messias die Welt erobert, wird er dabei keinen einzigen Schuss abgeben."

Zu Sowjetzeiten war das Grab von Rabbi Nachman zugemauert und chassidische Pilgerfahrten unerwünscht. Das änderte sich erst Ende der 1980er-Jahre unter Michail Gorbatschow. Der Ort Uman steht auch für deutsche Kriegsverbrechen in der Ukraine. 1941 ermordeten die deutschen Besatzer in Uman 17.000 Jüdinnen und Juden.  

Andrea Beer, ARD Kiew, tagesschau, 04.10.2024 19:56 Uhr